Die Obamas
Entscheidungen wurden nicht systematisch über den kleinen Kreis hinaus publik gemacht. Manchmal erfuhren die übrigen Mitarbeiter im Westflügel erst dann etwas, wenn es in die Praxis umgesetzt wurde. Larry Summers etwa war so ein Fall; eigentlich war er für die Vermittlung wirtschaftspolitischer Fragen zuständig, aber er ließ Kollegen oft außen vor und gewährte ihnen regelmäßig zu wenig Zeit zum Kommentieren von Mitteilungen an den Präsidenten. Summers hatte sich schon in Harvard in die Nesseln gesetzt, indem er die wissenschaftliche Kompetenz von Frauen in Frage gestellt hatte. Dennoch konnte man nicht sagen, ob er offen sexistisch war – Summers konnte auch Männer extrem herablassend behandeln.
Einige der Frauen hatten hinter den Kulissen versucht, mehr Struktur in die Arbeit des Westflügels zu bringen. Anita Dunn hatte ein wöchentliches Meeting ins Leben gerufen, das die Koordination verbessern sollte. Und Carol Browner hatte immer wieder angemahnt, vorausschauender und längerfristiger zu planen. Weiter waren sie mit ihren Bemühungen bislang jedoch nicht gekommen.
Während des Dinners standen die Frauen vor einem Dilemma: Sie wollten den Präsidenten auf grundsätzliche Probleme aufmerksam machen, ohne dabei nörgelig zu klingen. Deshalb blieben manche Dinge unerwähnt – etwa die Tatsache, dass auch Obamas tägliche Sitzung mit seinen engsten Beratern über keine Tagesordnung verfügte. Axelrod, Gibbs, Jarrett und die anderen wanderten während des Meetings einfach im Raum herum und schnitten das ihnen jeweils am wichtigsten erscheinende Thema an. Eine Mitarbeiterin meinte, oft konzentriere man sich dabei nur auf momentane Krisen. Man agiere wie eine Footballmannschaft, bei der jeder Spieler hinter dem Ball herrenne, statt auf seiner Position zu bleiben. Diese Sitzungen seien »gefährlich reaktiv« und bewiesen »wenig Weitblick«, fügte sie hinzu. »Einzelne Entwicklungen und wohin sie führten, wurden zu wenig beachtet«, erklärte später eine frühere Wirtschaftsberaterin, die nicht am Dinner teilnahm, und meinte damit, dass es bei Entscheidungen an Struktur mangelte. »Das war wirklich auffällig.«
Es gehört zu den charakteristischen Merkmalen des Weißen Hauses, dass sich dort eine Reihe konkurrierender Machtzentren bilden. Unter Obama indes gab es davon mehr als üblich: Biden, Emanuel, Axelrod, Gibbs und Jarrett leiteten jeweils eines. Obama schätzte es, sich mit den verschiedenen Standpunkten und oft konträren Ansichten auseinanderzusetzen. Er hatte festes Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten als Vermittler und war überzeugt davon, das Beste aus seinen Beratern herausholen zu können. »Er ist der Meinung, dass er eine Struktur schaffen kann, die alle unterschiedlichen Positionen in Einklang bringt. So verschafft er sich die bestmöglichen zur Verfügung stehenden Informationen«, erklärte Gibbs einmal. »Auf diesem Wege hinterfragt er seine eigene Halung.«
Rahm Emanuel kam diese Arbeitsweise entgegen. Selbst seine Verbündeten gaben zu, sein Stil habe manchmal etwas »Schizophrenes«. Seine Philosophie war es, »täglich zu punkten«. Das hieß: täglich ein kleiner Fortschritt oder sogar ein Sieg und am Ende das Spiel gewinnen. Aus taktischer Sicht durchaus nachvollziehbar. Alle wussten, dass in Washington Vorausplanung gelegentlich sinnlos war, weil sich die Dinge rasend schnell entwickelten. Vorhersagen konnten rasch überholt sein. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit kam dieses spontane Agieren jedoch meist weniger gut an: Selbst wenn das Weiße Haus punktete – erst bei der Bildung, dann bei der Sozialversicherung und danach im Hinblick auf Afghanistan –, führten diese Punkte nicht unbedingt zu einer stärkeren Position der Regierung, weil die Gesamtstrategie nicht ersichtlich war. »Ja, du hast an jenem Tag zwar gewonnen, aber du hast dabei die amerikanischen Bürger mit deinen Reden völlig verunsichert«, hatte ein Mitarbeiter Emanuel einmal vorgehalten.
Andere machten sich Sorgen wegen Emanuels Ausbrüchen, immer öfter verlor er die Beherrschung und ließ seinen Frust an anderen Mitgliedern des Stabs aus. Mit der Zeit, sagten einige Mitarbeiter, sei es immer schwieriger geworden, einen bestimmten Anlass zu nennen, bei dem er ausfallend geworden war, weil sich diese Zwischenfälle häuften. Eine Situation war ihnen jedoch im Gedächtnis geblieben: Im Frühjahr war Emanuel einmal bei der Morgenbesprechung des Führungsstabs des Weißen Hauses im
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