Die Obamas
Roosevelt Room wie ein Wahnsinniger auf Jason Furman losgegangen, einen für Wirtschaft zuständigen Mitarbeiter. In der Woche zuvor hatte der Präsident bekanntgegeben, dass die größeren Banken dabei seien, die Staatsbeihilfen zurückzuzahlen, doch kaum eine Woche später meldete die Citigroup, dieses Vorhaben zunächst auf Eis zu legen – eine peinliche Angelegenheit für das Weiße Haus, die Schlagzeilen machte. Emanuel »rastete bei seiner Attacke auf Jason komplett aus«, erzählte ein Teilnehmer. »Wieso wissen wir nichts davon, verdammt noch mal?«, schäumte er. »Wie sollen wir unsere Arbeit hier ordentlich machen, wenn wir von so wichtigen Sachen nichts erfahren? Was muss ich tun, damit mir vielleicht mal jemand verrät, was hier eigentlich läuft?«
Das Dumme war nur, dass Furman, einer von Summers’ Stellvertretern, überhaupt nicht mit der Citigroup befasst war. Für Beziehungen zu den Banken war das Finanzministerium zuständig. Timothy Geithner, der Finanzminister, fehlte an dem Tag. Furman saß zufällig auf dessen Stuhl, und deshalb nahm Emanuel ihn bei seinem geradezu theatralischen Auftritt auseinander. »Weil Sie nun mal mit Ihrem traurigen Arsch auf diesem Stuhl sitzen, wende ich mich an Sie«, sagte er nach der Erinnerung eines der Anwesenden. Furman wartete ungerührt das Ende des Donnerwetters ab.
Bei dem Frauendinner habe Obama sich nicht in die Karten schauen lassen; er habe aufmerksam zugehört, sagten mehrere der Frauen, aber man sei nicht so recht dahintergekommen, was er dachte. Er habe beinahe zerknirscht geklungen, als er den Frauen sagte, er brauche sie. Er beschloss das Dinner mit aufmunternden Worten und erklärte den Anwesenden, Einfluss ließe sich nicht daran ablesen, wie oft jemand in seinem Büro auftauche oder wie oft jemand das letzte Wort behalte. (Was kaum glaubhaft schien: Der Zutritt zum Präsidenten war schließlich
der
ultimative Maßstab für wirklichen Einfluss im Westflügel.) Nur weil ein enger Berater bei einer Besprechung etwas sage, heiße das noch nicht, dass er ihm Glauben schenke, betonte Obama. Er wisse jede am Tisch, jeden einzelnen Beitrag zu schätzen und bat die Anwesenden, ihn auf dem Laufenden zu halten. Was nicht geschah. Die Frauen hatten ihre Meinung geäußert, weiter wollten sie nicht gehen.
Auch wenn Obama sich während des Essens nichts hatte anmerken lassen, dürften die kritischen Anmerkungen der Frauen für ihn nichts Neues gewesen sein. Seit Monaten hatte er im engsten Kreis angedeutet, Rahm Emanuel konzentriere sich zu sehr aufs Tagesgeschehen und laufe Gefahr, die Fernziele aus dem Blick zu verlieren. Und die Frauen hatten während des Dinners letztendlich nur wiederholt, was seine eigene Frau ihm auch schon klargemacht hatte.
Später jedoch sagte ein anderer Berater, der Präsident habe das volle Ausmaß der Probleme nicht erkannt. »Jeder Präsident ist isoliert, und er ist im Oval Office isoliert«, sagte der Berater. »Er begriff nie wirklich, warum einige deswegen so frustriert waren, und er hatte nicht die Zeit, sich eingehend damit zu befassen, weil er noch lernen musste, Präsident zu sein. Er hatte noch nie zuvor eine große Organisation geleitet und wahrscheinlich nicht verstanden, was das bedeutete. Organisationsfragen sind nicht seine Stärke.«
Außerdem konnte sich Obama den Luxus nicht leisten, sich über ein besseres Management im Weißen Haus den Kopf zu zerbrechen. Es gab Wichtigeres zu tun. Der Präsident und seine Berater im Westflügel waren gefangen in einem vertrackten Entscheidungs-Wirrwarr, zudem war Obamas optimistischer Höhenflug des Vorsommers inzwischen deutlich gebremst worden. Im Oktober hatte Generalbundesanwalt Eric Holder seinen Beschluss publik gemacht, Khalid Sheikh Mohammed, einen der mutmaßlichen Planer der Angriffe vom 11 . September, vor ein Zivilgericht in New York zu stellen und nicht vor ein Militärtribunal in Guantanamo. Dies war nicht zuletzt ein Sieg der Bürgerrechtler, die im Frühjahr dem Weißen Haus einen Besuch abgestattet hatten. Die Republikaner aber sahen in dieser Entscheidung den gefährlich naiven Versuch, die Rechte der Terroristen zu schützen. Hunderte hatten in Downtown Manhattan gegen Holders Pläne protestiert.
Am Tag des Dinners erschoss ein amerikanisch-muslimischer Armeepsychiater namens Nidal Malik Hasan dreizehn Menschen auf einem texanischen Militärstützpunkt. Die Schießerei war offensichtlich die Tat eines psychisch gestörten Mannes – kein Werk
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