Die Obamas
»Eigentlich wollte ich gerade die Gesundheitsreform durchbringen.« [37]
Die Obamas und ihre Berater stellten sich darauf ein, dass die Kritik diesmal eventuell noch lauter klingen würde als ohnehin schon bei der Bekanntgabe der Auszeichnung. [38] Normalerweise folgten auf die Verleihung des Friedensnobelpreises dreitägige Feierlichkeiten: Bankette, Empfänge, Pressekonferenzen, ein Fernsehinterview, ein Konzert und eine Ausstellung zu Ehren des Preisträgers. Doch um den Eindruck zu vermeiden, dass Obama in Europa mit Mitgliedern der Königshäuser feierte, während die amerikanische Bevölkerung zu Hause mit ökonomischen Schwierigkeiten kämpfte, hatte das Weiße Haus die Festlichkeiten kurzerhand zusammenstreichen lassen und das Komitee darauf hingewiesen, dass dem Präsidenten für seine Reise nach Norwegen nur sechsundzwanzig Stunden zur Verfügung standen.
All den schlechten Nachrichten und drängenden Problemen zum Trotz wurde die Reise für den Präsidenten zu einem kurzen, glücklichen Traum – es schien, als betrete er eine Art Parallelwelt nordischer Prägung: Die schwedischen Bürger waren gebildet und klug, die Diskussionen nachdenklich, und Obama war wieder von Fans umringt. »Das war keine Heldenverehrung«, winkte einer seiner Begleiter ab und korrigierte sich gleich darauf: »Okay, zugegeben – doch.« Einen Tag lang erlebten die Obamas die Traumversion einer Präsidentschaft, fernab der deprimierenden Realität. Bei Banketten und Empfängen lernten sie die Mitglieder der Königlichen Akademie kennen – Regierungsangehörige und Experten. Anstelle falscher oder von Missgunst geprägter Anschuldigungen begegnete das First Couple wohlmeinenden Menschen, die überraschend gut über die Politik Obamas informiert waren. »Die Leute hatten sogar die Bücher des Präsidenten gelesen«, berichtete Susan Sher später überrascht. »Sie wussten mehr über manche seiner politischen Ideen als ich.« Und sie stellten genau jene Frage, die der Präsident im Kongress gestellt hatte: Wie konnte es sein, dass ein Land, das so reich war wie die Vereinigten Staaten, seinen Bürgern keine angemessene Gesundheitsversorgung bot?
Barack und Michelle Obama waren zutiefst bewegt, dass das Ansehen Amerikas im Ausland auch durch ihr Zutun wieder gestiegen war – und sie fühlten sich, in gewisser Weise, in Oslo besser verstanden als in Washington. »Ich war überrascht, wie belesen und klug alle waren, die ich kennenlernen durfte«, erinnerte sich Eric Whitaker, der Obama auf der Reise begleitet hatte. »Verglichen mit diesen gutinformierten Norwegern haben Amerikaner keinerlei Ahnung, was sonst in der Welt geschieht«, sagte er. Da griff David Axelrod einen Lincoln-Aphorismus auf: »Die mystischen Klänge der Erinnerung werden schon noch ertönen, wenn die besseren Engel der Natur auch sie schließlich berühren.« In seiner Rede erwähnte Barack Obama seine Mutter, eine idealistische Anthropologin, die in Dutzenden verschiedenen Ländern gearbeitet und ihre Kinder nach genau jenen universell humanistischen Werten erzogen hatte, die das Nobelkomitee verkörperte. Er deutete dabei auf Maya Soetero, seine Schwester, die ebenfalls mit von der Partie war. David Axelrod bemerkte, dass der Präsident Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten.
Nur eine kleine Gruppe von Demonstranten hatte sich vor dem Osloer Rathaus versammelt und protestierte – Obama sei kein Vertreter des Friedens. Für den Präsidenten, dem häufig genug von Republikanern vorgeworfen wurde, dass er ein Schwächling sei und zu wenig für die Sicherheit des Landes tue, war das neu. Doch eine viel größere Menschenmenge war gekommen, um ihn zu bejubeln. Von ihrem Hotelfenster aus schauten die Obamas auf Tausende von Menschen, die zu Ehren des Präsidenten einen Lichterzug veranstalteten – »Kerzen, so weit das Auge reichte«, erzählte Whitaker. Zu keiner Zeit nach seiner Inauguration war Obama mehr derartige Anerkennung zuteilgeworden.
Der Präsident hielt bei der Preisverleihung eine gewichtige Rede über den Widerspruch, diese Auszeichnung einem Staatsoberhaupt zu verleihen, dessen Nation sich im Krieg befand. Er sprach über die Natur des Kriegs, die in der Natur des Menschen begründet sei. »Kriege, in dieser oder jener Form, begannen mit dem ersten Menschen«, sagte er und leitete dann über zum Zweiten Weltkrieg, der Gründung der Vereinten Nationen, dem Kalten Krieg, dem zunehmenden Terrorismus und zu der Frage, »wie man einen
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