Die Obamas
eher selten derart offen diskriminiert. Stattdessen wurden sie sogar gezielt gefördert, etwa mit Stipendien. Sie hatten gerade ihr Studium aufgenommen, als diese Politik der »positiven Diskriminierung« heiß diskutiert wurde. Und obwohl sie im akademischen Bereich erfolgreich waren, haftete diesem Erfolg ein schaler Beigeschmack an – als habe er nichts mit persönlicher Leistung zu tun. »Kein Mensch erwartete, dass ich in meinem Beruf Karriere machen würde«, erinnerte sich Michelle Obama an jene Zeit. »Man meinte, dass meine Position vermutlich nur das Ergebnis der Quoten sei.« [51]
Die Freunde unterschieden sich nicht nur von den privilegierteren Studenten, sondern gerade auch von den eigenen Eltern und Verwandten; die hatten nie selbst entscheiden können, welche Facharztausbildung sie beginnen oder welchen Job als Anwalt sie annehmen sollten. Solche Erfahrungen konnten sie nur untereinander teilen.
Als Michelle Obama dann in den späten 1990 er Jahren Cheryl Whitaker kennenlernte, schloss sich der Kreis. Bald hatten die Paare noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle mussten früh zwei Rollen in Einklang bringen, wollten Zuhause und Arbeit auf einen Nenner bringen; sie wollten Karriere machen und dennoch ihren Kindern das Gefühl vermitteln, dass sie an erster Stelle standen. Es waren die Obamas, die die Whitakers überzeugten, ebenfalls Kinder zu bekommen – bis dahin hatte das Paar gezögert, weil ihre Arbeit als Mediziner sie sehr forderte. Und Anita Blanchard, die inzwischen eine erfolgreiche Geburtshilfe-Praxis leitete, half fast allen Babys der Clique auf die Welt. Die Freunde übernahmen gegenseitig die Patenschaft für die Kinder, und neben Basketballspielen und gemeinsamen Abendessen traf man sich nun zum Schwimmen, Sport und unterstützte einander bei den Fahrdiensten. In Chicago brachten die Männer am Wochenende ihre Kinder zum Tennisunterricht, saßen zusammen am Platzrand, lasen Zeitung und redeten, denn sie verfolgten das gleiche Ziel: Sie wollten vor allem bessere Väter sein, als ihre eigenen es gewesen waren.
Während sie auf unterschiedlichen Feldern Karriere machten, besserte sich ihre finanzielle Situation, es mehrten sich die Chancen und damit die Einflussmöglichkeiten. Mit ihrem Aufstieg wuchs aber auch ihr Bewusstsein für die Grenzen, die ihnen von der Gesellschaft gesetzt wurden. Vor- und Nachteile verfestigten sich offenbar immer weiter. Als Craig Robinson einen Job im Trainingsprogramm des Finanzdienstleisters Dean Witter annahm, begriff er schnell, dass sich die lukrativsten Kapitalanlagen in den Händen der weißen Investmentbanker befanden. Die wenigen Farbigen mit Spitzengehältern in seiner Firma waren allesamt Absolventen der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten von Eliteuniversitäten – was bei den Weißen in vergleichbaren Positionen offensichtlich unnötig war. [52]
Alle in der Gruppe waren sich ihres enormen Glücks bewusst und bemühten sich, auch anderen Chancen zu eröffnen. Michelle Obama verließ die Kanzlei für Zivilrecht und arbeitete stattdessen für gemeinnützige Unternehmen und später für die Universität. Als junger Arzt gründete Eric Whitaker in der Chicagoer South Side eine Gemeinschaftspraxis, zu der auch ein Friseur gehörte – mit einem Gratis-Haarschnitt wollte er schwarze Männer dazu bringen, sich bei der Gelegenheit auch medizinisch untersuchen und versorgen zu lassen. Cheryl Whitaker spezialisierte sich auf die Behandlung von Blutdruck-Erkrankungen, von denen Schwarze überproportional betroffen waren. John Rogers erklärte einmal, dass sie für die Bürgerrechtsbewegung zu spät auf die Welt gekommen seien, es aber als Aufgabe ihrer Generation betrachteten, die täglich sichtbare, weitverbreitete Ungleichheit zu beseitigen. »Meiner Ansicht nach gehört zu einem funktionierenden Gesundheitssystem mehr als nur der Zugang zu Ärzten, Gemeinschaftspraxen oder Krankenhäusern«, erläuterte Whitaker. »Um die Gesundheit einer Gemeinde zu garantieren, benötigt man auch eine tragfähige ökonomische Basis und ein funktionierendes Bildungssystem.« Das klang wie die gesundheitspolitische Variante von Obamas Vision eines Systemwandels.
Auch nach ihrer Studienzeit litten die Freunde noch unter der Stigmatisierung der »positiven Diskriminierung«. Sie fühlten sich unterbewertet, auch wenn sie nicht offenkundig benachteiligt wurden. Je erfolgreicher sie beruflich waren, umso verdächtiger waren sie für ihre Umwelt. »Man kann
Weitere Kostenlose Bücher