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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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tauchte er auf. Mit ein paar Münzen errangen wir das Recht, unangefochten auf einer moosigen Mauer zu sitzen.
    »Wo sind denn bloß die Elefanten?« fragte Bibi verwundert. »Gibt’s denn nicht mal ein einziges, winziges Kamel?«
    Vorerst sah man nur die Falter und Mücken im Lampenlicht. Der Direktor richtete den aus Büchsenblech gebastelten Scheinwerfer auf eine Plattform, die etwa die Höhe eines Küchenbüfetts hatte. Auf diese Plattform stellte er ein Weißbierglas.
    »Aha«, sagte Cotta. »Und daraus springen die Zirkustiere.«
    Es kam aber nur eine Ziege, eine gewöhnliche Ziege mit Meckerbart, und zwar nicht aus dem Glas, sondern von unten. Sie kletterte eine Leiter hinauf und trank das Weißbierglas leer.
    Bibi staunte — mußte sich aber von einer Bauersfrau sagen lassen, daß eine Ziege von Natur aus kletterfreudig sei. Also nichts von Kunst und Dressur.
    Nach der Ziege kam ein schlankes Mädchen im Trikot, offenbar die Thronfolgerin des Unternehmens. Sie schnallte sich Rollschuhe an und schuhte sehr geschickt auf der kleinen Plattform umher. Es war ein Mädchen im Bibi- und Cottaalter, nur nicht so vitaminhaltig.
    »Das arme Ding«, sagte ich. Als ich das zum zweiten Male sagte, hörte Bibi auf, mit den Beinen zu schlenkern, und tauschte mit Cotta einen Blick.
    »Ha!« rief Cotta. »Jetzt kommt tatsächlich ein Pferd!«
    Wir traten näher, denn Bibi wollte sehen, wie das Pferd auch auf die Leiter kletterte. Es wurde aber nur in die Manege geführt.
    Während sich das Rollschuhmädchen mit Hilfe einer Peitsche in eine Kunstreiterin verwandelte, kündigte der Direktor das Wunderpferd Jossopoff an.
    Doch Jossopoff wollte heute abend kein Wunderpferd sein, jedenfalls kein irdisches. Er brach in der Manege zusammen und war sehr rasch tot.
    Für die Leute fing der Zirkus jetzt erst an.
    Ein Bündel Möhren lag da — oder was das hatte Jossopoff als Prämie bekommen sollen, wahrscheinlich für sieben- oder achtmal Zählen mit dem linken Vorderhuf. Und die Schabracke trug eine Fläche, worauf die Zirkusprinzessin möglicherweise Handstand gemacht hätte. Wer weiß? Das war nun alles nicht mehr aktuell.
    Bibi und Cotta hielten sich dicht beieinander. Der Tod, auch der eines alten Gaules, ist unheimlich, besonders in den Ferien, wenn man so lieblichen Lindenduft in der Nase hat und eine Eistüte in der Hand.
    »Kann man da gar nichts machen?« fragte Bibi. Sie meinte Wiederbelebungsversuche.
    »Immer die Hufe auf und ab bewegen wie bei Ertrunkenen?« fragte Cotta spöttisch.
    Jossopoff war auch schon sehr tot. Man sah es. Das war schon längst kein Pferd mehr, sondern etwas Unbegreifliches in Pferdeform. Kaum konnte man glauben, daß es je gelebt hatte. Bibi taten die händeringenden Zirkusleute leid. Wie ging das Programm denn nun weiter? Während sich debattierende Gruppen bildeten und der herbeigerufene Tierarzt seines Amtes waltete, war Bibi verschwunden. Plötzlich tauchte sie wieder auf — mit Cottas Geigenkasten.
    »Hier«, sagte sie. »Spiel ihnen was!«
    »Als Ersatz für Jossopoff?« fragte Cotta entgeistert.
    Der Direktor haschte nach dieser Chance wie ein Hund nach dem Knochen. »Die junge Spanierin gibt uns eine Probe ihrer Kunst!« rief er.
    Ehe sich’s Cotta versah, stand sie auf der Plattform, schneller als vorhin die Ziege. Der Direktor richtete die Keksbüchse mit dem Scheinwerfer auf ihre Knie. Und Cotta hatte schöne Knie.
    »Was soll ich denn spielen?« Ihr Gesicht war im Dunkeln. Schon aber taten die Knie ihre Wirkung. Magisch angezogen, lösten sich die jungen Burschen von Jossopoff. Ein totes Pferd gegen das da?
    »Was soll ich denn...?« Cotta hatte die Geige zum Üben mitgenommen, falls es unterwegs mal regnete. Sie konnte nur ein paar Kinderlieder und dann gleich Bach.
    »Das verirrte Kind aus dem spanischen Königshaus spielt uns eine Zigeunerweise«, rief der Direktor.
    Also kratzte Cotta eine »Zigeunerweise« von Bach. Im Scheinwerfer tanzten Mücken. Die schönen Knie federten ein wenig, aber nicht sportlich, sondern musisch. Der Saitenklang wurde selbstbewußter und reiner.
    Requiem für einen Karrengaul. Die Leute standen andächtig.
    »Ein schönes Zigeunerkind«, sagte eine Frau in einer Fransenstola. Aber die andächtigste Publikümmerin war Bibi. Die Zöpfe hingen in Flaute. »Ist Cotta nicht wundervoll?« wisperte sie.
    Dann nahm sie dem Direktor den Hut aus der Hand und ging sammeln. Sechs Mark fünfzig — und ein Päckchen Tabak. Immerhin.
    Wir holten Cotta herunter

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