Die Oder gluckste vor Vergnügen
dein Leben ist verflossen. Du hattest eines Fürstenkinds in freier Lieb’ genossen...« Von wem stammte diese Ballade?
Das Fürstenkind kämmte sich. Sein Gesichtsausdruck war beunruhigend, so merkwürdig verklärt, so der »Abglanz eines von Liebe erfüllten Herzens«. Bibi wäre ein Schaf gewesen, hätte sie es nicht gemerkt. Ihre Miene war noch beunruhigender. Man wußte nicht, wer mehr zu fürchten war, sie oder der Minister.
Der Gartzer Kirchturm tauchte auf.
Cotta klappte den Spiegel zu und blickte mich voll an, keineswegs beruhigender als vorher. Im Gegenteil. Sie strahlte etwas Jungfrau-von-Orleanshaftes aus. Hier stehe ich, stehe gegen die Inquisition, gegen Vater und Bibi... Oh, Verderben, laß die Flammen über mir zusammenschlagen! Bekennen wir uns zueinander, dann haben wir an Hölle, was uns an Himmel heute nacht entging.
Ich sah sie eisern an, von Bibi ebenso eisern beobachtet. Das dauerte ein paar Momente, dann war die Gefahr vorbei. Cottas bekennerische Anwandlung verflog. Sie blickte wieder normal, das heißt - voller Angst.
Vor uns lag Pustekohls Bucht.
Fast hatte man erwartet, die Stadt in Flammen zu sehen und Herrn Percotta wie den Koloß von Rhodos breitbeinig über dem Fluß, aber es empfing uns nur Herr Pustekohl. Er kam in einem Kahn und half uns beim Festmachen.
»Tja...«, sagte er, »tja, hm...« Er spie etwas Tabaksaft in die Oder. »Der Herr Minister...«
»Wo ist er denn?« fragte Cotta.
»Im Haus. Er telefoniert mit Berlin. Sie möchten ‘reinkommen.« Herr Pustekohl stakte uns ans Ufer.
Ich bereitete eine wohlgesetzte Rede vor. Doch ehe ich den Minister zu Gesicht bekam, radelte ein Landpolizist hinterm Busch hervor, stieg vom Sattel und sagte: »Sie da!« Er schaute an mir herauf und herunter. »Ja, Sie. Ich muß Sie mitnehmen.«
»Mit? Wohin?«
»Zur Wache«, sagte der Polizist ruhig, aber bestimmt, und schob sein Fahrrad an.
Nicht mit Berlin, sondern mit der Gartzer Polizei hatte Herr Percotta demnach telefoniert. Aber wenn ich mit seiner Tochter verreiste, war das doch keine Entführung. Sie war siebzehn, sie durfte sogar Zwillinge kriegen, ohne daß das einen Polizisten etwas anging.
»Ich verlange eine Gegenüberstellung«, sagte ich. »Hier liegt keine strafbare Handlung vor. Ich kann nachweisen...«
»Das tun Sie auf der Wache«, sagte der Polizist, bedächtig neben seinem Rad stapfend. Er brauchte nicht zu gucken, ob ich mitkam. Dafür sorgte sein Schäferhund.
Bibi und Cotta und Herr Pustekohl standen auf der Promenade und starrten uns entgeistert nach.
»Ich will aber den Mann sehen, der mich angezeigt hat!«
Der Polizist war sehr gemütlich, fast so, als ginge ihn der Fall im Grunde nichts an. Wenn er eine Distel sah, schlug er sie mit der Hundepeitsche tot. Er schaute auch in die Gärten, wie’s da ums Obst bestellt sei. Das machte mich nur noch wütender. Ich wollte zurück, um Herrn Percotta zu sprechen, doch der Schäferhund ließ es nicht zu.
»Man kann doch nicht verhaftet werden, wenn man eine Fahrt...« Beinahe hätte ich gesagt:»...mit Bibi und Cotta macht.«
»Sind Sie nicht heute nacht mit ‘ner jungen Dame in einer Scheune gewesen?«
»Ja, weil es regnete. Was ist dabei? Kommt es hierzulande nie vor, daß sich jemand bei schlechtem Wetter in einer Scheune unterstellt? Im übrigen hat uns der Bauer gleich verjagt. Er hat sogar geschossen. Hier...«
»Das ist der Beweis«, sagte der Polizist und nickte. »Nich’ schlimm, wie? Sonst setzen Sie sich auf mein Rad, ich schiebe Sie.«
Da wollte ich schon lieber von seinem Hund geschoben werden...
Der Oberwachtmeister auf der Wache sah genauso aus wie mein Begleiter. Es mußte hier eine Polizistenplantage geben, wo diese Sorte wuchs. Und ein Gärtner hatte ihnen die Haare geschnitten.
Als erstes verlangte ich, den Minister zu sehen.
»Minister?« fragte der dicke Beamte. »So einen gibt’s bei uns nicht. Wir begnügen uns mit dem Bürgermeister. Wo sind Sie denn her?«
»Ich meine den Reichsminister a. D. Percotta, der das alles veranlaßt hat.«
Der Dicke blinzelte. »Nee, nee. Was haben Sie bloß mit den hohen Tieren? Nehmen Sie ruhig mit mir vorlieb, ich spreche auch Deutsch.«
Ich schwieg. Ja, worum ging es denn hier? Wohl doch nicht um Entführung einer Tochter — oder so. Aber worum denn dann?
Der Oberwachtmeister ließ sich Zeit. Alles entwickelte sich pflanzenhaft gemächlich. Er nahm die Abmeldung des Kollegen und des Schäferhundes entgegen, spitzte den
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