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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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Frau Priefert als Trauzeugin.
    Und dann war ich frei.
    Aber der Mittagszug nach Tantow war weg, und der Minister a. D. Percotta konnte mit Cotta und Bibi auch längst weg sein...

Cottas Vater, der Minister

    Das Hotel »Schwarzer Adler« roch schon von weitem nach Bratensoße. Es war das beste Haus am Platze. Pustekohls hatten mir gesagt, dort sei der Herr Minister mit den Damen. Wenn er noch Appetit aufs Mittagessen hat, kann er die beiden nicht gefressen haben, dachte ich.
    Die Tafelei war in vollem Gange. Vor der Fensterecke stand ein Wandschirm. Der Wirt beobachtete ihn, als vollziehe sich dahinter eine priesterliche Handlung.
    Auf leisen Sohlen ging ich zur Theke und verlangte ein Bier. Ich wollte warten. So unrasiert und mit dem Beinverband, so mochte ich dem Herrn Minister nicht ins Essen steigen.
    Unter dem Wandschirm sah ich die Tischbeine, die Mädchenbeine und die Ministerbeine. Cotta hatte elegante Schuhe an. Bibi trug auch neue Schuhe (also mußten die Koffer endlich da sein). Der Minister war durch orthopädische Stiefel vertreten.
    Gedämpftes Klappern von Bestecken. Kein Wort. Allenfalls ein Knurren. Die Bedienerin kam hinter dem Wandschirm vor, als sei sie einem Bärenzwinger entronnen.
    Eine Weile sah ich den Füßen zu. Plötzlich lugte Bibis Zopf um die Ecke. Sie warf ein Auge auf mich. Das Auge blieb nicht ohne Folgen, denn schon erscholl die Stimme des Ministers: »Kommen Sie ruhig her!«
    Ich ging und sah die Nickelplatten auf dem Tisch und Cottas zitternde Gabel und ein grünes Salatblatt, das ruckweise in Bibis Mund verschwand.
    »Herr Cotta«, sagte ich.
    »Ich heiße Percotta«, sagte Herr Percotta. »Auch meine Tochter heißt nicht Cotta, sondern Raffaela. Setzen Sie sich hin.« Staunend nahm ich wahr, daß ein Gedeck für mich bereitlag.
    »Man wollte Sie ins Spritzenhaus werfen?« fragte der Minister.
    Ich berichtete, soweit es die Umstände erlaubten. Von der Scheune sagte ich nichts. Cottas Gabel hatte starken Schüttelfrost auf dem Teller, und mir klang Frau Prieferts Geschrei im Ohr: »Liebesleute, Liebesleute«, so laut, daß ich meinte, Herr Percotta müsse es hören.
    »Nehmen Sie sich Braten«, sagte er, griff zum Streuer und pfefferte sein Essen mit erschreckender Rücksichtslosigkeit. Alles an ihm, seine Art, seine robuste Größe, ja die Furchen in seinem Gesicht — alles hatte etwas Erschreckendes. Dieser Mann scheute sich nicht, Nasenbeine einzudreschen. Und man konnte kaum glauben, daß das Cottas Vater war.
    Ich versuchte, den Spannungsgehalt der Luft zu erspüren. Was war passiert? Hatte Cotta geweint? Nein. Bibi erst recht nicht. Bibi tauchte soeben tief in die Schüssel mit roter Grütze. Sie hielt die Wimpern fleißig gesenkt, genau wie Cotta.

    Der Minister zündete sich eine Zigarre an. »So«, sagte er. Aber die große Aussprache kam nicht. Statt dessen hob er die Tafel auf. Bibi und Cotta mußten in die von ihm gemieteten Zimmer.
    »Zum Kaffee, dann!« Er nahm seinen Stock und schleppte sich zur Tür, wobei seine Schritte nur immer so lang waren, wie sein Fuß breit war. Der Wirt wurde alt und grau an der Klinke, denn es dauerte eine Ewigkeit. Man sah, der Minister gehört seit Jahr und Tag in den Rollstuhl — und was ihn aufrecht hielt, war einzig sein Trotz.
    Bis zum Kaffee blieben Bibi und Cotta unter Verschluß. Ich hatte mich rasiert und hergerichtet, und wieder saßen wir schweigend am Tisch. Cotta und Bibi als Raffaela und Barbara, ziemlich fremd. Nur die Kuchenkrümel in Fräulein Barbaras Mundwinkel erinnerten doch sehr an Bibi.
    Herr Percotta strahlte eine enorme Gereiztheit aus. Aber so war er wohl immer. Und wenn er unerbittlich war, so war er bestimmt am unerbittlichsten gegen sich selbst (gerade das, was Cotta so liebenswert machte). Er war sein eigener Dreißigjähriger Krieg, nach innen und nach außen, ein Ritter im Stehkragen, mit Linien des Grams wie Schwerthieben im Gesicht. Ein Mann, der sich nicht beugte, niemals — und im Hitlerstaat ganz und gar undenkbar.
    »Wann geht unser Zug?« fragte er.
    »Wir wollten doch erst...«, schluckte Cotta.
    »...erst morgen...«, sagte Bibi.
    »Morgen, zwölf Uhr fünfzehn«, sagte Herr Percotta. »Und jetzt seh’ ich mir das Nest hier an.«
    Das Mietauto war bestellt und kam alsbald. Bibi und Cotta mußten sich mit den Rücksitzen begnügen. Ich durfte neben Herrn Percotta sitzen, womit er mir zeigen wollte, daß er mich zu den Erwachsenen rechnete, die Damen aber nicht.
    In einer rollenden Höhle,

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