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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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schimmernden Wimpern. Der Bootshaken, ihre Hellebarde, mit dem sie uns gegen Überfälle hatte verteidigen wollen, war ihr entglitten. Und an ihrem Tagebuch hatte sie nicht mehr geschrieben, ausgerechnet nach diesem Tag!
    Am Bootskiel gluckste die Oder. Gluckste mit den Wassern Böhmens, auch mit etwas Spreewasser, das durch irgendeinen Kanal geflossen kam. Und mit dem Wasser von der Olsa und der Malapane. (Das waren aber keine Primadonnen, sondern rechte Nebenflüsse.) Wie auch Mietzel, Weistritz und Bober keine Berliner Portierfrauen waren, sondern ein rechter Nebenfluß und zwei linke. Auch Warthewasser leckte am Kiel. Das alles schaukelte sachte mein Bein und Cottas Schlaf und Pustekohls Tassen. Und das Wasser, auf dem Bibi nachher losfahren würde, stand schon zwischen Schwedt und Gartz.
    Ich knipste das Licht aus.

Rex wird verhaftet

    Wir wachten erst auf, als Bibis Dampfer gellend tutete. Wir fuhren aus den Decken und starrten uns an. Durch die Ritzen der Rollos drang helle Sonne.
    »Der Dampfer!« rief Cotta. Er war ganz nahe, hatte die Anlegestelle in Mescherin längst hinter sich. Bibi stand am Kai mit den Koffern — wir hatten sie nicht abgeholt!
    Cotta sprang hinaus, ich folgte, ohne auf das schlimme Bein zu achten.
    Die goldene Bugzier des Dampfers leuchtete im Morgenlicht. Die Leute und der Käpt’n winkten. Der Schiffsjunge öffnete die Reling. Und da — mit Riesenschwung — sauste ein Mädchen im Badeanzug über Bord. Bibi. Bibi verließ auf diese Weise das fahrende planmäßige Schiff. Sie kam in zügigen Crawlstößen heran.
    »Wo sind denn deine Sachen? Und die Koffer?« rief Cotta.
    Wir halfen Bibi herauf. Triefend wie ein Fisch klatschte sie auf die Planken. »Hab’ gesehen, daß ihr nicht am Kai wart«, japste sie, »bin gleich weitergefahren, den Badeanzug hatte ich ja mit.« Sie schüttelte die nassen Zöpfe.
    »Wo sind die Koffer?« fragte ich. »An der Anlegestelle?«
    Bibi antwortete nicht. Sie warf einen raschen Blick in die Kajüte. Dort sah sie die ausgebreiteten Decken.
    »Es ist nämlich...«, stammelte Cotta, »...und deshalb haben wir’s auch verschlafen..., weil... weil...« Sie hätte sagen können: »Rex ist verletzt.« Sie hätte alles erklären können. Aber Bibis Miene war so ungemütlich, daß es ihr die Sprache verschlug. Wir hatten sie unterschätzt. Sie blickte nicht wie ein Kind, sondern wie eine Wilde.
    Dann faßte sie sich. Und sagte ganz ruhig: »Rex wird verhaftet.«
    Es versteht sich, daß wir Bibi erst nicht glauben wollten. Aber die Einzelheiten waren zu überzeugend.
    Cottas Eltern hatten bei der Wirtin angerufen, um zu hören, was die Mädchen endgültig planten. Was das für ein Hin und Her gewesen sei: einmal »nach Hause«, zwei Stunden später »nicht nach Hause« — und wieso überhaupt Gartz, und was sie denn an Gartz so interessant fänden.
    Oh, hatte die Wirtin gesagt, die Damen und ihr Freund, die kämen ja aus der Freude gar nicht heraus: »Erst waren sie beim Zirkus, da sind sie aufgetreten, die ganze Stadt spricht davon, dann waren noch andere Freunde da... großes Auto... großes Tanzfest... selbstgeschneiderte Abendkleider...«
    Nach Empfang dieser verwirrenden Auskunft hatte Herr Percotta zum .Krückstock gegriffen und war — ein entschlossener Gehbehinderter — über Tantow nach Gartz gefahren.
    »Ich dachte, er reißt mir den Kopf ab«, sagte Bibi.
    »Wieso dir?« fragte Cotta wachsbleich.
    Bibi hob rasch die Wimpern: »Wieso? Weil ich euch allein gelassen habe.« Ihr Ton besagte: Womit er natürlich recht hat! Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich’s tat. Alles, was nun über euer Haupt kommt, ist die verdiente Strafe.
    »Rex hat einen Schuß im Bein«, sagte Cotta. »Es hat ihn ein... ein Wilddieb angeschossen, als wir spazierengingen.«
    Bibi warf einen flüchtigen Blick auf mein Bein und einen prüfenden in meine Augen. Dann ging sie in die Kajüte und zog sich an.
    »Rex, du steigst aus«, sagte Cotta. »Ich bring’ das Boot mit Bibi zurück. Und das mit meinem Vater, das stehe ich allein durch.«
    Ein verlockender, aber unannehmbarer Vorschlag. Gewiß war der Minister Percotta bekannt für seine Grobheit und Unerschrockenheit. Hatte er nicht einem Hitlermann aufs Nasenbein gedroschen? Ich wäre gern ein wenig feige gewesen. Aber vor den Mädchen! Das ließ schon die Eitelkeit nicht zu.
    Als Bibi die Kajüte freigab, lichteten wir die Anker. Ich brachte das Boot in Fahrt, stromauf, Richtung Vater.
    »Herr Olaf, es ist Mitternacht,

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