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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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unter dem bannenden Feueratem des Drachens, hätte die Stimmung nicht beklemmender sein können. Bibi und Cotta flüsterten nur. Sie taten auch, als gehe ich sie nichts an — aus Diplomatie — , aber der Minister schien darüber erhaben, auf Zeichen der Vertrautheit zu luchsen. Unter dem Rand seines Panamas blickte er zum Fenster hinaus.
    Schließlich sagte er mal etwas, und das war recht wunderlich. Wir hatten ein schiefes Haus gesehen, als der Wagen an einer Kreuzung hielt. Plüsch und Kissen und dichte Portieren, drei Katzen dazwischen und scheußliche Topfpflanzen — und ein Stück Hof mit Fliegen. Das alles roch uns zum Wagenfenster hinein.
    »Iiiiiii...«, sagte Bibi.
    In steinerner Ruhe betrachtete der Minister das Idyll. »Wieso iii...?« fragte er. »Was da fehlt, ist Hygiene, und die ist keine sittliche Errungenschaft.« Er fügte hinzu: »Also kann es getrost so bleiben. In einer leckeren Welt, wo man überall vom Fußboden essen kann, wird sich der Mensch bald selbst zum Ekel. Die Properkeit — verfälscht den Todesbegriff und bringt Angst mit sich. Hier sind die Leute noch glücklich. Eine Bauersleiche im weißen Hemd ist nicht schrecklicher als ein lebender Bauer auf dem Mist. Das ist es. Stunk hält Leben und Tod zusammen.«
    Wir fuhren über die Brücke und blickten zurück auf die Stadt.
    »Die schönste Aussicht«, sagte Cotta dünn.
    »Das ist die Badeanstalt«, hauchte Bibi.
    Es versteht sich, daß der Minister nicht baden wollte. Er ließ das Auto halten und befahl den Mädchen, sich am Kornfeld entlang zu tummeln. »Und wir beide, wir gehen auf die Brücke.«
    Jetzt schmeißt er ihn da ‘runter, stand in Bibis Miene zu lesen. Jedenfalls kam nun die große Aussprache, und Herr Percotta hatte dafür einen würdigen Punkt im Auge.
    »So«, sagte er. »Erst einmal einen Blick stromauf, zum Alten Fritzen hinein.«
    Wir sahen nach Süden, an der Badeanstalt vorbei. Ein paar Dampferstunden weiter war der Alte Fritz mit Schwung über die Oder gesetzt, um den Russen in den Rücken zu fallen. Bei Güstebiese, nicht wahr? Und vorher hatte er im Dorfe Ötscher an den Minister Finckenstein geschrieben: »Es ist alles verloren.« Dann wendete sich’s doch zum Guten. Aber der Alte Fritz war mit Soldaten gereist und nicht mit Rokoko-Cottas und Barock-Bibis.
    »Noch weiter ‘rauf liegt Lebus«, sagte Herr Percotta, »die schöne Kathedralenstadt, um die sich Thüringerherzöge und Polenkönige schlugen. Und die kein Schwein mehr kennt. Darüber hat schon der olle Fontane gelacht.«
    Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Doch man soll nicht ungerecht sein. Der Reiz liegt in der Blüte. Wenn die vorbei ist, wird auch jeder lachen, daß wir uns mal um die beiden Röcke hatten.«
    »Herr Minister...«, begann ich.
    Er unterbrach: »Sie verstehen, daß ich herkommen mußte. Nach dem Telefongespräch mit der Wirtin in dem Dorfkrug da — man konnte denken, das Nest hier sei eine Art Tanger. Treffpunkt der internationalen Unterwelt. Was wußten wir, wo die Gören Sie aufgegabelt hatten!«
    »Bei meiner Tante, auf dem Familientag...«
    »Jaja, ich sprach schon mit Berlin. Es stimmt. Ihr Tantchen war hell entzückt, daß die Kinderchen beisammen sind. Na, darauf geb’ ich nichts. Der kupplerische Impuls der alten Weiber.«
    Der Minister spuckte in die Oder wie ein gelernter Fischer. »So. Gehen wir auf die andere Seite. Stromab soll man gucken.« Er atmete schwer und fächelte sich mit der Hutkrempe Luft zu.
    Geruhsam floß der Strom unter uns dahin, an Pustekohls Bucht vorbei und in die fernen Wiesen und Büsche...
    »Was dachten Sie sich eigentlich?« fragte der Minister.
    Ich hatte eine lange Rede halten wollen, hauptsächlich über das Geistige in Cotta und das Geistige in Bibi, eine Rede voller Luftblasen, wie ich jetzt sah. Und ich fürchtete, er würde mir dann doch die Krücke auf den Kopf hauen. »Nichts«, sagte ich deshalb schlicht.
    Das überzeugte ihn. »Gut«, sagte er.
    Indem wurden wir abgelenkt. Dampfer »Sieg« kam von Stettin, weiß und golden und schaurig schlotend. Bibi jagte an uns vorbei ans Bollwerk. Seit sie heute morgen im Badetrikot abgesprungen war, führte der Dampfer ja ihren Trainingsanzug mit. Wir sahen, wie sie ihn huldvoll aus den Händen des Schiffsjungen entgegennahm.
    »Ein Rabenaas«, sagte der Minister, »die Kleine ist ein Rabenaas. Bildung ist für die wie zerlassene Butter zum lebenden Fisch im Wasser. Aber sie hat die ganze Völkerkunde intus, und das von

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