Die Oder gluckste vor Vergnügen
Zwischen Lederpolster und Kiste erschien eine sonnengebräunte Hand.
»Heraus da!« sagte ich, in der Meinung, es sei ein Junge, der sich aus Abenteuerlust oder Schabernack dort versteckt habe.
Die Polsterklappe flog hoch. Zum Vorschein kam ein flachsblonder Schopf, ein erhitztes Gesicht... eine dürre Gestalt in gelber Polobluse und weißer Strandhose. Sie klappte die Bank wieder herunter und setzte sich hin. Da saß sie.
Es war Gerda.
Ich sagte eine Weile nichts. Dann: »Und in der anderen Klappe ist Ihr Vater?«
Gerda lachte und tat, als merke sie nicht, wie die Wut in mir hochstieg — fühlte ich mich doch wie einer, der Rehe gejagt hat und als einzige Beute so ein Nagetier nach Hause bringt. »Ich werfe Sie über Bord«, sagte ich.
»Das tun Sie nur!« rief sie frech. »Dann erzähl’ ich in der Klasse alles, was ich gehört und gesehen habe, angefangen mit der Knutscherei im Wald. Mein Vater hat das auch gesehen. Ich mache die Rufus und die Percotta so unmöglich, daß sie aus der Schule...«
Ich ließ das Steuer los und ging auf sie zu.
»Nicht!« schrie Gerda.
Da sich das Boot querdrehte, mußte ich wieder ans Rad. »Ich erwische Sie schon noch«, sagte ich.
»Ich hab’s nur gut gemeint«, rief sie, »ich wollte Ihnen Gesellschaft leisten. Es war nicht sehr bequem in der Kiste, das können Sie mir glauben. Alle Glieder tun mir weh.«
Ich verwünschte den unbewachten Augenblick, der mir diese Überraschung beschert hatte. Wäre ich doch niemals auf die Idee gekommen, noch einmal an den Kai zu fahren!
»Bilden Sie sich nicht ein, daß ich Ihretwegen umkehre«, sagte ich. »Es ist mir egal, wie Sie wieder nach Swinemünde gelangen.«
Sie nahm das Fernglas und spähte in die Runde, so selbstverständlich, als trüge sie ein Billett für Pustekohls Boot in der Tasche.
»Was werden Ihre Eltern sagen?« fragte ich.
»Ach, die sind heute auf Rügen. Man hat mich bei meiner Swinemünder Freundin gelassen, aber die wird schon nicht petzen.«
»Ich hoffe, sie tut es doch.«
Die Aussicht, daß Gerda dann Hiebe beziehen würde, war tröstlich. Aber der Alte würde auch mir die Hölle heiß machen. Im Geiste sah ich mich mit Gerda am Traualtar. »Sie unterschreiben mir nachher einen Zettel, daß Sie ohne mein Wissen auf das Boot gekommen sind.«
»Bitte.«
»Und daß ich die ganze Zeit kein freundliches Wort mit Ihnen gesprochen habe.«
»Das wollen wir erst noch sehen«, sagte sie und kletterte trällernd auf den Bug, um sich zu sonnen. Die ungewöhnliche Lage beschwingte sie. Ich konnte mir schon denken, was sie getrieben hatte: der Ehrgeiz, auch einmal so zu sein wie Bibi und Cotta. In ihrer Naivität bildete sie sich ein, dazu gehöre weiter nichts als der Entschluß.
Nach einer Weile kam sie herein. »Es ist schrecklich heiß. Ich brauche ein Kopftuch.«
»Aber nicht das. Es gehört Bibi.«
»Ich krieg’ aber einen Sonnenstich.«
»Wie kann man etwas kriegen, was man längst hat?« Das war ein Volltreffer. Eine solche Grobheit hatte sie nicht erwartet.
Sie schluckte. »Sind Sie zu Ihren Flammen auch so gemein?«
Die Flammen trieben mir das Blut ins Gesicht. »Scheren Sie sich auf den Bug«, sagte ich, »sonst passiert ein Unglück.«
»Ich bleib’ hier.«
»Ich sage, es passiert ein Unglück!« Mit Genugtuung sah ich, daß sie unsicher wurde.
»Ich will was essen«, maulte sie. »Ich habe Hunger.«
»Fangen Sie sich einen Fisch.«
Es zuckte um ihren Mund. »Vielleicht kann ich mich etwas nützlich machen«, meinte sie kleinlaut.
»Lösen Sie mich am Steuer ab.«
Eifrig kam sie heran. Sie gab sich alle Mühe, aber trotz des guten Wetters war sie zu schwach, das Boot auf Kurs zu halten. Ich sah, wie sich ihr die Speichengriffe in die Rippen bohrten. »Es geht nicht«, ächzte sie.
Ich ließ sie eine Weile hängen.
»Hilfe!« jammerte sie. »Das Boot schwimmt mir weg!«
»Das war ja das, was Sie wollten. Geben Sie her! Machen Sie etwas zu essen! Es müssen noch ein paar Konserven da sein.«
Es verstand sich, daß sie mir nichts recht machte. Ich hatte Geschmack daran gewonnen, eine Prügelpuppe an Bord zu haben. Allen Ärger der letzten Tage konnte ich an ihr auslassen.
»Womit soll ich die Konserve öffnen?«
»Mit ihrer spitzen Zunge.«
Sie versuchte es mit den verschiedensten Geräten. Dabei hieb sie sich auf den Daumen und fing an zu heulen.
»Haben Sie’s nun satt?« fragte ich munter.
»Nun gerade nicht!« schluchzte sie.
»Bibi und Cotta hätten sich längst nicht
Weitere Kostenlose Bücher