Die Ökonomie von Gut und Böse - Sedlacek, T: Ökonomie von Gut und Böse
Zivilisation – im Gilgamesch-Epos, in der hebräischen Thora, im alten griechischen und christlichen Denken, insbesondere bei Thomas von Aquin … Im folgenden Kapitel habe ich mich mit einer anderen interessanten Idee befasst, mit etwas, was beim Konzept der mystischen Animal Spirits noch nicht entwickelt worden war – einer Art Gegenstück zum Homo oeconomicus. Ich habe die traditionelle Behandlung des Begriffs erweitert und versucht, herauszufinden, wie viel Tier in jedem von uns steckt. Dieses Tier lebt, wie Enkidu, nicht mehr im Naturzustand, sondern in einer Stadt, in der Zivilisation. Wir haben alle ein Stück von Enkidu in die Stadt mitgebracht – und fürchten sowohl die Überrationalisierung des Menschen (dass wir wie Roboter werden könnten) als auch übergroße Spontaneität (dass wir wie die Tiere werden könnten). Unser Weg liegt in der Mitte.
In Kapitel 13 ging es um die Schönheit und Verführungskraft der Mathematik. Ich habe zu zeigen versucht, dass die Mathematik zwar eine effektive Sprache ist, ein wirkungsvolles Instrument, dass dieser Hammer sich aber nicht benutzen lässt, um alle Puzzles der Ökonomie – geschweige denn des Lebens – zusammenzusetzen. Ich habe mich auch mit der mystischen Geschichte des Glaubens an die Zahlen als Baustein der Existenz befasst.
Im letzten Kapitel ging es dann um die Wahrheit. Ich habe die Wahrheit der Dichter von der der Wissenschaftler unterschieden, ich habe mich mit den normativen Aspekten einer Ökonomie beschäftigt, die gern positivistisch sein möchte, und mit den Werten einer wertfreien Ökonomie. Die Wahrheit, die Sache, auf die es wirklich ankommt, ist wie lebendige Materie – sie lässt sich nicht leicht in analytische Gleichungen fassen. Andere Dinge hingegen schon.
Das Leben auf des Messers Schneide
Es scheint, dass die zeitgenössische Ökonomie (und auch ein Teil der auf ihr basierenden Wirtschaftspolitik) einige neue Ideen aufgeben und zu vielen alten zurückkehren sollte. Sie sollte die ständige Unzufriedenheit aufgeben, den künstlich erzeugten sozioökonomischen Mangel, und die Zufriedenheit, die Ruhe und die Dankbarkeit für das, was wir haben, wiederentdecken. Wir haben wirklich viel – von einem materiell-ökonomischen Standpunkt aus gesehen sogar mehr als alle früheren Generationen in der Geschichte der westlichen griechisch-jüdisch-christlichen Zivilisation (und aller anderen uns bekannten Zivilisationen). Daher sollten wir die materielle Verwöhntheit und die übermäßige Betonung des Glücks, das materieller Wohlstand bringen kann, hinter uns lassen.
Dieses Umdenken ist nötig, weil eine Wirtschaftspolitik, die nur materielle Ziele verfolgt, immer zu Schulden führen wird. Jede Wirtschaftskrise wird viel schlimmer werden, wenn wir ständig die Last dieser Schulden stemmen müssen. Wir müssen sie daher schnell zurückzahlen. Wenn die nächste größere Wirtschaftskrise unser System trifft, müssen wir vorbereitet sein, wir müssen unsere Lektion gelernt haben und dürfen nicht mehr so verwöhnt sein.
Wer ständig auf des Messers Schneide lebt, darf sich nicht wundern, wenn er sich dabei verletzt. Wer nur auf den Wettbewerbsvorteil setzt, darf sich nicht beklagen, wenn er Beulen davonträgt. Wer zu hoch und zu nahe an die Sonne fliegt, wie Ikarus, darf nicht überrascht sein, wenn seine Flügel schmelzen; je höher er geflogen ist, desto tiefer wird er dann fallen. Und wir sind zu lange auf einem schmalen Grat entlanggeschlittert, der sehr scharf war. Maßvoll zu schlittern und zu fliegen hat uns nicht gereicht – doch jetzt könnte es an der Zeit sein, in Höhen zurückzukehren, die sicherer und angenehmer sind.
In einem Lied heißt es, die Vorschriften und Gesetze würden von Juristen und Dichtern gemacht. Die Dichter (im weiter gefassten Sinn des Wortes) verleihen den Regeln Bedeutung und Geist, die Juristen Form und Buchstaben. Man könnte sagen, dass ein großer Ökonom ein ausgezeichneter Mathematiker oder ein hervorragender Philosoph sein kann. Mir scheint, dass wir den Juristen und Mathematikern eine zu große Rolle zugestanden haben, auf Kosten der Dichter und Philosophen. Wir haben zu viel Weisheit gegen Exaktheit getauscht, zu viel Menschlichkeit gegen Mathematisierung. Das erinnert an einen extrem fein gearbeiteten Elfenbeinturm, der leider auf Sand gebaut wurde. In einem der biblischen Gleichnisse geht es ja darum, dass ein kluger Baumeister seinen Fundamenten mehr Aufmerksamkeit widmet als den
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