Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Schreiben entgegen, dass Ida Kaselowsky, die er allerdings nicht gekannt hatte, eine »untadelige Persönlichkeit« gewesen sei, und »Sippenhaft« gegen sie nicht angewendet werden dürfe – eine sprachliche Entgleisung, denn die barbarische Praxis der Sippenhaft war eine Spezialität Heinrich Himmlers gewesen, der beispielsweise nach dem missglückten Hitler-Attentat des 20. Juli 1944 verfügt hatte: »Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied.«
Die geplante Ehrung Ida Kaselowskys platzte. Unterlagen aus dem Bundesarchiv belegten, dass die Mutter Rudolf-August Oetkers 1937 der NSDAP beigetreten war und dass sie dem Kreisvorstand der NS-Frauenschaft angehört hatte. Mit ihrem sozialen Engagement habe sie mitgeholfen, die in der NS-Ideologie erwünschte Betriebsgemeinschaft zu bilden, hieß es. Der von ihr geförderte Werkfrauenchor hatte 1936 einen Hitler-Choral gesungen, der mit der Zeile endete: »Himmlische Gnade uns den Führer gab, wir geloben Hitler Treue bis ins Grab.«
Überdies wurde dann auch noch bekannt, dass der Architekt der Kunsthalle, der Amerikaner Philip Johnson, 1934 in den USA Mitgründer einer profaschistischen National Party gewesen war und überdies ein Befürworter der Naziherrschaft in Deutschland. Nahm man zu alledem noch die Tatsache hinzu, dass der ausführende Baumeister in Bielefeld, Oetkers Hausarchitekt Cäsar Pinnau, als junger Mann für Albert Speer gearbeitet hatte, so musste beim unbefangenen Beobachter fast zwangsläufig der Eindruck entstehen, dass die Bielefelder Kunsthalle so etwas war wie ein in der Nachkriegzeit errichtetes »Braunes Haus«.
Am 29. Oktober 1998 beschloss der Rat der Stadt Bielefeld mit einer rotgrünen Mehrheit, den Namenszusatz »Richard-Kaselowsky-Haus« zu streichen. CDU und FDP hatten ihn beibehalten wollen. Rudolf-August Oetker reagierte umgehend. Wozu er 30 Jahre zuvor noch bereit gewesen wäre, nämlich auf eine Ehrung Kaselowskys zu |341| verzichten, das mochte er im Alter von 82 Jahren nicht mehr hinnehmen. »Nach der Umbenennung habe ich mich gezwungen gesehen, mich aus der Kunsthalle, die nun nicht mehr den Namen meines zweiten Vaters trägt, zurückzuziehen«, erklärte er. Auch mit der geplanten Betreibergesellschaft für das Museum wollte er nichts mehr zu tun haben: »Das Thema ist mit dem Rückzug erledigt.«
Rudolf-August Oetker forderte sämtliche Kunstwerke zurück, die er dem Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt hatte. Wenige Tage nach dem Ratsbeschluss fuhr ein Spezial-Lkw an der Kunsthalle vor. Die Spediteure luden sieben Kunstwerke ein. Eines war das berühmte Bild »Russische Tänzerin« von Ernst Ludwig Kirchner, das besonders viele Betrachter angezogen hatte. Es war sogar als Plakatmotiv für das Jubiläum zum 30-jährigen Bestehen der Kunsthalle ausgewählt worden. Die Entfernung gerade dieses Gemäldes aus dem Museum fanden manche Beobachter auch deshalb als besonders schmerzhaft, weil die »Russische Tänzerin« ein Beispiel dessen war, was die Nationalsozialisten als »entartete Kunst« aus den Museen verbannt hatten. Das Gemälde wurde später im Büro von Oetkers Sohn August aufgehängt.
In Interviews mit dem Magazin
Focus
und der
Welt am Sonntag
erläuterte der Patriarch seinen Schritt der Öffentlichkeit. Über seinen Stiefvater sagte Rudolf-August Oetker dabei entschuldigend: »Er hatte sich der Partei, wie Millionen andere, unter Zeitumständen angeschlossen, von denen heute kaum einer noch weiß, wie sie in der Wirklichkeit des Alltags waren. Wer ihn kannte, weiß: Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.« Die Journalisten versäumten es, den Industriellen danach zu fragen, wie sein Stiefvater in den Freundeskreis Himmler gelangt war und welchen Vorteil das Familienunternehmen daraus gezogen hatte. Auch nach seiner eigenen Vergangenheit im »Dritten Reich« wurde der frühere Untersturmführer der Waffen-SS Rudolf-August Oetker nicht gefragt.
Dafür konnte der Konzernsenior zum Besten geben, dass der erste Museumsdirektor in Bielefeld ein Bruder jenes Helmuth Graf von Moltke gewesen war, welcher nach dem 20. Juli 1944 als Widerstandskämpfer |342| hingerichtet worden sei. Oetkers Hinweis war historisch allerdings nicht korrekt. Moltke hatte in Wahrheit nicht zu dem Verschwörerkreis um Graf Stauffenberg gehört, vielmehr war er der Begründer des so genannten Kreisauer Kreises von NS-Gegnern gewesen und schon im Januar 1944 verhaftet worden. Zum Tode verurteilt wurde
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