Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
fing er als technischer Leiter in der Firma seines verstorbenen Meisters an. Überdies betätigte sich Albert Oetker aber auch als reisender Vertreter der Marzipanfabrik. Er war dabei so erfolgreich, dass das Geschäft einen spürbaren Aufschwung nahm. Mit 24 Jahren übertrug Luise Oetker ihm die kaufmännische Leitung der Firma und ernannte ihn zum Prokuristen.
Der Umsatz stieg von Jahr zu Jahr in großen Stufen. Marzipan war ein Luxusartikel, aber mit dem Wohlstand im Kaiserreich wuchs auch die Kaufkraft. Als sich Albert Oetker in seiner neuen Position etabliert hatte, sorgte er dafür, dass die Fabrik auf den jüngsten Stand der Technik gebracht und die Kapazität gesteigert wurde. Die Dampfkessel und -maschinen wurden durch doppelt so große ausgewechselt. Oetker stellte weitere Reisende sowie ortsansässige Vertreter ein, die die Rohmarzipanmasse in allen größeren Städten vertrieben. Ihnen richtete die Firma kleine Lagerräume ein, damit die Bestellungen der Kunden schneller als bisher ausgeführt werden konnten.
Das Geschäft boomte dermaßen, dass die Arbeiter in der Fabrik an der Flottbeker Chaussee bald in Tag- und Nachtschicht produzierten. Doch auch das reichte nicht. Mit der Zeit wurde es offensichtlich, dass die von Louis C. Oetker 1876 gebaute Fabrik zu klein war. Eine Erweiterung war an dieser Stelle aber nicht möglich. So kaufte Albert Oetker, der inzwischen Teilhaber der Firma L. C. Oetker geworden war, ein großes Grundstück im Altonaer Stadtteil Bahrenfeld. Dort wurde, 20 Jahre nach der ersten Fabrik, am 1. Oktober 1896 ein neues Fabrikgebäude eingeweiht.
In dem Bau aus roten Backsteinen wurde eine Vielzahl neuartiger Maschinen aufgestellt, die Albert Oetker seinen Erfahrungen entsprechend selbst entworfen hatte. Die Mandeln wurden maschinell gesiebt, gereinigt, gebrüht und von ihren Schalen befreit. Eine zeitgenössische Betriebsbeschreibung vermittelt viel von der damaligen Faszination für Technik: »Gewaltige, mit Dampfkraft betriebene Messer zerschneiden die Mandeln hier in grobe Stücke, dann aber wandert diese grob geschnittene Masse über Transportwerke auf die Quetschmaschine, welche ihr durch Quetschen einen weiteren Grad der |24| Feinheit verleiht, und von dieser endlich auf die großen sechsläufigen Walzwerke, Musterwerke der Technik und der Sauberkeit. Drei große Granitwalzen zerreiben in jeder dieser Maschinen die Mandeln, welche bis dahin noch immer ein wenig den körnigen Charakter zeigten, zu einer gleichförmigen Masse, die aber noch auf die unter den Granitwalzen laufenden drei Porzellanwalzen fällt, welche der Masse den höchsten erreichbaren Grad der Feinheit zu geben vermögen.«
Den Antrieb für die Maschinen lieferten zwei große Dampfkessel und zwei 90 PS starke Dampfmaschinen, die in einem separaten Gebäude untergebracht waren. Betrieben wurden sie mit Kohlen, die in Eisenbahnwaggons direkt auf den Fabrikhof transportiert wurden. Es war eine überaus saubere Fabrik, deren Wände mit Mettlacher Platten gekachelt und deren Fußböden mit italienischem Terrazzo belegt waren. »Nirgends in der Fabrik sind Treibriemen zu sehen«, hieß es in der Beschreibung der unterirdischen Transmissionsanlage. »Die Kraft wird von den Maschinen von unten zugeführt, so dass es den Eindruck macht, als würde das Ganze von geheimnisvollen Mächten bewegt.«
In großen Kupferkesseln wurde die Marzipanmasse gekocht und so lange geröstet, bis sie alle überflüssige Feuchtigkeit verloren hatte. Um eine besonders große Gleichmäßigkeit des Produkts zu gewährleisten, ließ Albert Oetker das Marzipan in einem weiteren Arbeitsgang in Portionen von 400 Kilogramm mischen und kühlen. Die fertige Rohmasse packten Arbeiter in mit Papier ausgelegte Holzkisten, die waggonweise an die Kunden verschickt wurden. Das Altonaer Unternehmen lieferte sein Marzipan auch nach London und Manchester. Für den Export verwendete die Firma als Markenzeichen eine Schiffsschraube und den Satz »Mein Feld ist die ganze Welt«. Im Inland setzte man auf den schlichten Schreibschriftzug »Oetker«, den sich das Unternehmen patentamtlich hatte schützen lassen.
Die Fabrik in Altona-Bahrenfeld war so ausgelegt, dass sie täglich 25000 Kilo Marzipan produzieren konnte. Auf dem Dachboden lagerten große Mengen von Mandeln, Nusskernen und Zucker. Sie waren aber nur ein Teil der Vorräte, über die die Firma verfügte. Ein Großteil von Oetkers Rohwaren lagerte zollfrei im Hamburger Freihafen.
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