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Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands

Titel: Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruediger Jungbluth
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arbeitete das Unternehmen noch in traditioneller Weise mit hand- und fußgetriebenen Webstühlen, die überwiegend in den Haushalten einiger Hundert so genannter Heimweber im Bergischen Land standen. In England wurde schon seit Jahrzehnten mit Webmaschinen produziert, am Niederrhein aber setzte sich der mechanische Webstuhl erst in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch. Es war ein schwieriger Prozess. Nicht nur die Heimweber waren gegen die Umstellung, auch viele Unternehmer waren skeptisch, ob es sich lohnte, in völlig neue und andersartige Fabriken zu investieren. »Zunächst waren es nur wenige mutige, jüngere Fabrikanten, die einsahen, dass der schnell wachsende Textilbedarf infolge der Bevölkerungszunahme, des steigenden Wohlstands mit seinen höheren Ansprüchen und der Ausdehnung des Welthandels nur durch eine Umstellung auf die mechanische Weberei zu bewältigen war«, schreibt Ludwig Hügen in seiner Chronik der Firma Deuß & Oetker. »Als ein solch weit schauender Unternehmer, wie ihn die nun einsetzende Industrialisierung der Textilindustrie erforderte, erwies sich Albert Oetker.«
    Deuß & Oetker baute 1889 eine Fabrik in Schiefbahn, einem Dorf südlich von Krefeld. Der Bürgermeister der Gemeinde hatte sich sehr um die Ansiedlung eines Industrieunternehmens bemüht. Die Gemeinde hatte den beiden Inhabern ein großes Grundstück zum Vorzugspreis verkauft und ihnen Steuerfreiheit während der Anlaufphase |28| garantiert. Die Hausweber am Ort litten damals wegen des Preisverfalls große wirtschaftliche Not. Gemeinsam mit anderen Webern hatten sie sogar eine Petition an den Kaiser gesandt: »Majestät! Tausende von Seidenwebern in den Kreisen Cempen, Crefeld und Umgegend sind augenblicklich ohne Arbeit und damit brotlos, teilweise dem bittersten Mangel preisgegeben, tatsächlich am Hungern.« In dieser Situation war der neue Industriebetrieb eine große Hoffnung für die Menschen in dem Ort.
    Die Fabrik entstand auf der grünen Wiese. Als sie fertig war, war der Websaal mit einer Fläche von 16 000 Quadratmetern der größte im Deutschen Reich, wie Firmenchronist Hügen berichtet. 179 Menschen fanden dort eine Arbeit, als im November 1889 die ersten mechanischen Webstühle anliefen. Für die Arbeiter ließ Albert Oetker eine Siedlung in unmittelbarer Nachbarschaft der Fabrik errichten. Das Kalkül des Fabrikanten war, die Arbeiter dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Außerdem hatten sie kurze Wege zur Fabrik und konnten somit für einen langen Arbeitstag im Betrieb sein.
    Die Siedlung lag außerhalb des Ortskerns von Schiefbahn und erhielt bald den Namen »Kolonie«. Die Doppelhäuser enthielten jeweils zwei Wohnungen mit einer Grundfläche von 62 Quadratmetern. In den Räumen wohnten die Arbeiterfamilien nicht nur, sie nutzten sie auch als Platz zur Heimarbeit. Viele Frauen, Kinder und Alte wurden von Deuß & Oetker zu Hause damit beschäftigt, in Handarbeit Webfehler und Verunreinigungen an Fabrikerzeugnissen zu beseitigen.
    Während Deuß und Oetker bei der Rekrutierung ihrer Belegschaft auf die Weber in Schiefbahn und Umgebung zurückgriffen, warben sie die Meister und Vorarbeiter im Bergischen Land an, wo Deuß selbst einst für eine Tuchfabrik gearbeitet hatte. Diese Männer waren evangelisch, die Arbeiter in Schiefbahn dagegen fast ausnahmslos katholisch. Firmenchef Oetker selbst war, wie 80 Prozent der Unternehmer in Deutschland damals, Protestant. Obwohl die Katholiken 36 Prozent der Reichsbevölkerung ausmachten, gab es unter ihnen nur wenige Unternehmer. Wie ihre Kirche taten sich die meisten Katholiken schwer mit der Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft |29| . Sie lebten in einer inneren Distanz zu dem sich entwickelnden System des Kapitalismus und der Marktwirtschaft. Wichtige Bestandteile ihres Lebens waren Wallfahrten, Prozessionen und häufig auch ein ausufernder Marienkult. Während der Nationalstaat in den Augen der Protestanten eine Art Schlusspunkt der Reformation darstellte, sah sich die katholische Kirche in ihrem Machtanspruch über die Menschen durch dieses starke preußisch-evangelisch geprägte Deutsche Reich bedroht. Sie reagierte mit Verhärtung und Abschottung.
    Bald kam es auch bei Deuß & Oetker zu heftigen konfessionellen Konflikten. Sie entzündeten sich an der Frage der Arbeitszeit. Albert Oetker war der Ansicht, dass die Katholiken zu viele Feiertage begingen. Weihnachten, Neujahr, Ostern und Pfingsten wurde nicht gearbeitet und auch nicht

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