Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
seither keine Mehrheit mehr. Sie hätten sie selbst dann nicht gehabt, wenn sie mit den Sozialdemokraten koaliert hätten. So regierte Reichskanzler Franz von Papen weiter, der das Vertrauen Hindenburgs und dessen Einflüsterers Kurt von Schleicher hatte.
Als im November 1932 wieder einmal ein neuer Reichstag gewählt wurde, blieb die NSDAP zwar stärkste Kraft, doch sie verlor zwei Millionen Stimmen. Es schien so, als hätte die Hitler-Partei ihren Zenit bereits überschritten. Es schien, als müsste ihr charismatischer Führer auf ewig in der Opposition bleiben. In dieser Situation entwarfen die Mitglieder des Keppler-Kreises Schacht und der Bankier von Schröder sowie Keppler selbst eine Eingabe an Hindenburg, mit dem Ziel, den unwilligen Reichspräsidenten dazu zu bewegen, Hitler als Führer der stärksten Partei zum Reichskanzler zu ernennen.
Zahlreiche Industrielle unterzeichneten die Eingabe, darunter auch solche, die nicht dem Keppler-Kreis angehörten. Aber der Vorstoß hatte keinen Erfolg. Hindenburg ließ Hitler zweimal zu sich kommen, aber der greise Feldmarschall mochte den NSDAP-Chef nicht. Der Hauptgrund für Hindenburgs Weigerung aber war, dass sich sein Vertrauter Kurt von Schleicher unterdessen entschlossen hatte, es nun selbst als Reichskanzler zu versuchen. Der Reichswehrgeneral war seit langem der mächtige Mann im Hintergrund. Er hatte im Sommer 1932 mit Hindenburgs Hilfe seinen Günstling, den Reichskanzler Franz von Papen, ins Amt gehievt. Der musste jetzt seinem früheren Förderer weichen.
Kurt von Schleichers politisches Ziel war ein anderer Staat, ihm war die Weimarer Republik zu modern, seine Vision war eine Restauration |136| . Nachdem er im Dezember 1932 Reichskanzler geworden war, versuchte er, die Nationalsozialisten zu spalten und neue Mehrheiten in der Gesellschaft zu bilden, um Hitler den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber der General scheiterte auf ganzer Linie. Da fasste Franz von Papen den Plan, mit Hitlers Hilfe die Macht zurückzugewinnen. Papen war sogar bereit, dem NSDAP-Führer den Posten des Kanzlers zu überlassen. Er selbst wollte sich mit dem des Vizekanzlers zufrieden geben. Eine Gefahr sah er darin nicht, schließlich war er ja derjenige, der in der Gunst des mächtigen Reichspräsidenten stand.
Um seinen Plan mit Hitler zu besprechen, musste Papen den NSDAP-Führer möglichst diskret treffen. Wilhelm Keppler und der Industrielle Ewald Hecker vermittelten eine Zusammenkunft der beiden Männer. Und noch ein weiteres Mitglied des Keppler-Kreises war hilfsbereit: der Kölner Bankier Kurt von Schröder. In dessen Haus trafen am 4. Januar 1933 Papen und Hitler zusammen. Die Männer wurden sich schnell einig. Und es sollte nach dieser Verabredung keinen Monat dauern, bis Papen auch Hindenburg endlich so weit hatte.
Am 28. Januar trat der glücklose Schleicher, der keinen Rückhalt mehr hatte, zurück. Und nur zwei Tage später, am 30. Januar 1933, ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das kam für die Öffentlichkeit völlig überraschend. Nicht eine Wahl hatte Hitler in das Regierungsamt gebracht, sondern die Absprache einer kleinen Clique einflussreicher Leute.
Die Anhänger Hitlers und der NSDAP feierten den Triumph überall im Reich. In Bielefeld zogen noch am Abend etwa 1200 Nationalsozialisten mit Fackeln durch die Innenstadt. Die einstmals liberalen
Westfälischen Neuesten Nachrichten
kommentierten Hitlers Aufstieg wohlwollend: »Hitler selbst ist eine staatspolitisch noch unverbrauchte Kraft. Hinter ihm steht aber seine Bewegung mit ihrem Glauben an ihren Führer.«
Die Heimatstadt der Firma Dr. August Oetker war während der Weimarer Zeit eine Hochburg der Sozialdemokratie gewesen. Bei den Wahlen im September 1930 hatte die NSDAP dort deutlich schlechter abgeschnitten als im Reichsdurchschnitt. Aber als zwei Monate später |137| der Kreistag und die Stadtverordnetenversammlung neu gewählt werden mussten, weil einige Vorstädte eingemeindet worden waren, hatte sich die NSDAP sprunghaft von zwei auf zwölf Mandate verbessert. Der Triumph der jungen Partei war noch gesteigert worden, als die Stadtverordnetenversammlung den Zahntechniker Emil Irrgang zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatte. Damit war Bielefeld 1930 zur ersten deutschen Großstadt mit einem Nationalsozialisten an der Spitze des Kommunalparlaments geworden.
Erst bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933, zu einer Zeit also, als Hitler schon Reichskanzler war,
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