Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
überholten die Nationalsozialisten in Bielefeld die Sozialdemokraten. Wie anderorts hatte sich der Wind schnell gedreht. Schon am 20. April 1933 erhielt der Bürgerpark an der Rudolf-Oetker-Halle zu Hitlers Geburtstag den Namen des neuen Machthabers. Am Abend prangte auf der Konzerthalle ein großes, hell leuchtendes Hakenkreuz. An der Fassade des Gebäudes war ein riesiges Porträt des »Führers« angebracht worden.
Der 1. Mai 1933 war zum ersten Mal ein gesetzlicher Feiertag in Deutschland. Als »Tag der nationalen Arbeit« sollte er nach dem Kalkül der Nationalsozialisten ein erhebendes Ereignis für die Massen werden. Während Hitler in Berlin über das Ethos der Arbeit sprach, sammelten sich in Bielefeld die Beschäftigten der großen Betriebe und stellten sich gemeinsam mit Trupps von SA, SS und der Schutzpolizei auf. Dann zogen die Menschen in Marschkolonnen durch die Straßen. Vor jeder Abteilung gingen Hitlerjungen und trugen Schilder mit den Firmennamen darauf.
Auch Richard Kaselowsky hatte sich eingereiht. Alle Unternehmer und Betriebsleiter waren gehalten, an diesem Tag zusammen mit ihren Arbeitern und Angestellten zu marschieren, um auf diese Weise eine besondere Einigkeit zu demonstrieren. 50000 Menschen waren bei dem Aufmarsch in Bielefeld auf den Beinen. Auf der Schlusskundgebung wurde aus Berlin eine Rede des Reichspräsidenten Hindenburg übertragen, anschließend war Propagandaminister Joseph Goebbels zu hören.
Wie zahlreiche Industrielle trat der Chef der Firma Dr. August |138| Oetker an diesem 1. Mai 1933 der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei bei. Richard Kaselowsky erhielt die Mitgliedsnummer 2473997. Es war für mehrere Jahre die letzte Gelegenheit zum Parteieintritt. Denn die Parteiführung verfügte ab diesem Zeitpunkt eine Aufnahmesperre. Sie fürchtete, die alte Kampfbewegung würde verbürgerlichen. In den Wochen seit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler war die Zahl der Parteimitglieder auf 2,5 Millionen Menschen hochgeschnellt. Fast 1,7 Millionen Deutsche hatten in dieser kurzen Zeit die Aufnahme in die NSDAP beantragt. Die »alten Kämpfer« waren in die Minderheit geraten. Besonders nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 waren die Menschen massenhaft in die Partei geströmt. Man nannte sie spöttisch die »Märzgefallenen«.
Richard Kaselowsky gehörte vermutlich nicht zu den frühen Unterstützern der NSDAP. Nach der Machtergreifung galt er aber als ihr treuer Gefolgsmann. Als die Bielefelder Industrie- und Handelskammer im Juni 1933 gleichgeschaltet und ein neuer Vorstand gewählt wurde, fand sich Kaselowskys Name auf der Einheitsliste. Und 1935 gehörte er zu den 25 Bielefelder Bürgern, die für sechs Jahre zu Ratsherren ernannt wurden, nachdem sie vom Beauftragten der NSDAP berufen worden waren. Es sollte nach der Machtergreifung auch nicht lange dauern, bis Richard Kaselowsky Aufnahme in den wohl exklusivsten Kreis von NS-Unterstützern fand.
In diesem Keppler-Kreis übernahm 1933 ein jüngerer Mann die Regie. Nachdem Keppler nach der Reichstagswahl im März als Hitlers Berater in die Reichskanzlei gezogen war, ergriff sein Neffe Fritz Kranefuß die Führungsrolle in dem Industriellenzirkel. Kranefuß war ein ausgesprochen ehrgeiziger Mann, und der Keppler-Kreis schien ihm ein ideales Vehikel für seine Ambitionen. Er arbeitete schon länger an der Seite seines Onkels und war im Frühjahr 1932 auch der NSDAP beigetreten. Nach der Machtergreifung trat Kranefuß, der in den zwanziger Jahren in einem jüdischen Bankhaus gearbeitet hatte, in die SS ein und verschrieb sich ihr mit Haut und Haaren.
Kranefuß fasste den Plan, den Keppler-Kreis an Heinrich Himmler, den so genannten Reichsführer SS, zu binden. Die Gelegenheit fand er |139| bald. Vor dem Parteitag 1933 wollte Hitler sich bei den Wirtschaftsleuten erkenntlich zeigen und ließ von Himmler der Partei wohl gesonnene Banker und Industrielle als Gäste nach Nürnberg einladen.
Im Zusammenhang mit diesen Einladungen erhielt der Keppler-Kreis einen neuen Namen, er mutierte zum »Freundeskreis des Reichsführers SS«. Die neue Bezeichnung stammte vermutlich weder von Himmler noch von Kranefuß oder Keppler. Vielmehr kreierte wohl ein einfacher SS-Mann den Namen, wie später mehrere Industrielle bestätigten. Der Anlass war eher banal: Während des Parteitags waren etliche Ehrengäste im Nürnberger Grand Hotel untergebracht. Die Herrschaften, unter ihnen viele Diplomaten, nutzten auch Gesellschaftsräume des
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