Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Industrieproduktion um ein Drittel. Die Zahl der Arbeitslosen stieg in der offiziellen Statistik auf sechs Millionen, tatsächlich dürften es aber acht Millionen gewesen sein. Jeder Dritte, der arbeiten wollte, hatte keine Stelle. Und viele von denen, die nicht entlassen worden waren, arbeiteten nur wenige Stunden und für weniger Lohn. Fünf Jahre sollte diese Depression anhalten.
Die Weltwirtschaftskrise stürzte auch in Bielefeld viele Menschen in bittere Not. 1929 waren in der Stadt bereits 11000 Menschen arbeitslos, zwei Jahre später hatte sich die Zahl verdoppelt. Auch in der Nahrungsmittelfabrik Dr. August Oetker gab es Massenentlassungen. 1930 hatten Ingenieure eine neuartige Maschine gebaut, mit deren Hilfe in der gleichen Zeit viel mehr Papierbeutel hergestellt werden konnten. In der Krise wurde der Wunderapparat stillgelegt, und zwar, wie es später hieß, auf Wunsch Caroline Oetkers. In einer Zeit knapper Aufträge sollten nicht noch mehr Arbeiter nach Hause geschickt werden müssen. Vermutlich fürchtete Firmenchef Kaselowsky aber auch Sabotageakte der Belegschaft.
Auch bei der Textilfirma Verseidag der Krefelder Verwandten ging es bergab. Die Menschen in der Gemeinde Schiefbahn waren fast völlig von dem Werk abhängig. In früheren Jahren hatten fast alle Jugendlichen, die von der Schule abgingen, dort zu arbeiten angefangen. Jetzt fanden viele keine Lehrstelle. Im Frühsommer 1930 wurde Kurzarbeit eingeführt, Entlassungen waren trotzdem nicht zu vermeiden. Zuerst traf es nur die Familien, aus denen mehrere Mitglieder in der Fabrik arbeiteten und die den Verlust eines Einkommens besser verkraften konnten. Das
Niederrheinische Tageblatt
schrieb: »Da die Vereinigten Seidenwebereien das einzige Unternehmen am Platz sind, so kann man begreifen, dass in den Kreisen der Arbeiterschaft eine sehr pessimistische Stimmung herrscht.«
Die Lage verschlimmerte sich noch. Anfang 1931 holte die Firmenleitung bei den Behörden die Zustimmung, 250 ihrer 950 Mitarbeiter zu kündigen. Die Mehrheit der Verbliebenen hatte nur noch Arbeit für 24 Stunden in der Woche. Einige Monate später zog allerdings die Konjunktur kurzfristig wieder an, so dass etliche der zuvor Entlassenen |129| wieder eingestellt werden konnten. Die Firma erhielt eine Reihe von Großaufträgen für Kleider- und Krawattenstoffe. Im Frühjahr 1932 machte der Vorstand der Belegschaft sogar den Vorschlag, dass für eine gewisse Zeit eine Nachtschicht eingeführt werden sollte, um die Arbeit zu bewältigen. Im Gegenzug forderten die Arbeiter, dass die Firma sich verpflichtete, ein Jahr lang auf Entlassungen und Kurzarbeit zu verzichten. Als der Vorstand das ablehnte, verweigerte die Arbeitnehmervertretung ihre Zustimmung zur Nachtschicht.
Der Konflikt verschärfte sich, als die Verseidag für das Werk in Schiefbahn Kurzarbeit einführte, während in anderen Zweigbetrieben voll gearbeitet wurde. Solchermaßen unter Druck gesetzt, traten die Schiefbahner Arbeiter nun doch zur Nachtschicht an. Aber schon im August 1932 waren die Auftragszahlen wieder so abgesunken, dass die Arbeitszeit erneut verkürzt werden musste. Familienväter arbeiteten an fünf statt sechs Tagen, Ledige an vier. 60 Krawattenweber erhielten den Entlassungsschein.
Die Zeit der Wirtschaftskrise war für den Krefelder Zweig des Oetker-Clans auch deshalb eine besonders einschneidende Phase ihrer Geschichte, weil die Familie von einer Reihe früher und dicht aufeinander folgender Todesfälle heimgesucht wurde. Verseidag-Vorstand Rudolf Oetker starb im Oktober 1930 überraschend während einer Geschäftsreise nach Berlin. Er wurde wie sein 1918 verstorbener Bielefelder Cousin August nur 56 Jahre alt und hinterließ eine Frau und fünf Kinder.
Der Tod des Krefelders Rudolf Oetker war ein großer Verlust für die Familie und auch für die Firma, weil drei Jahre zuvor schon Rudolfs jüngerer Bruder Paul unerwartet gestorben war. Er war der Personalchef der Verseidag gewesen. Der passionierte Herrenreiter hatte bei einem Ausritt an einem Novembertag 1927 einen Herzinfarkt erlitten, dem er 51-jährig erlegen war.
Milly Oetker sollte ihre beiden Söhne nicht lange überleben. Sie starb im Juli 1931. Immerhin war ihr ältester Enkel zu diesem Zeitpunkt schon 30 Jahre alt. Rolf-Bernd Oetker war also fähig, in dem Unternehmen Führungsaufgaben zu übernehmen und die Interessen |130| der Familie gegenüber den anderen Großaktionären der Verseidag zu
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