Die Oger - [Roman]
ihn wieder in die Höhe. Er schaute direkt in Mogdas Gesicht.
»Hallo Käpt'n, ich möchte Schiffspassagen kaufen. Zwölf Erwachsene und ein Kind.«
Der Seemann verlor das Bewusstsein.
25
Rache
Der schwache Lichtschein fiel aus dem Seitenkorridor auf die feuchte Tunnelwölbung der Kanalisation. Ein Schatten durchbrach den Lichtkegel kurzzeitig und verschwand dann wieder. Ein zweiter Schatten trat hinzu und tauchte den Gang in völlige Dunkelheit.
»Was?«, hörte man Hagrims genervte Stimme. »Wohin willst du?«
»Ich gehe. Beende Sache mit Meister«, antwortete Tarbur ruhig.
Ein schweres Keuchen war zu hören, wie von jemandem, der es aufgegeben hat, nach Argumenten gegen ein sinnloses Unterfangen zu suchen.
»Was für eine exzellente Idee, Herr Oger. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Jetzt suchen wir nur noch einen Mantel und eine Mütze, damit du oben in der Stadt nicht so sehr auffällst. Falls zufällig alle Bürger ihre Hüte bis zur Nase gezogen haben, würde ich meinen, du hast eine gute Chance unerkannt zu bleiben, es sei denn, du trampelst den einen oder anderen zu Tode. Jetzt ist mir auch klar geworden, warum die Geschöpfe Tabals nicht schon lange die Herrschaft über Nelbor errungen haben. Sie paaren Größenwahn und Unvermögen auf unvergleichliche Weise.«
Die grimmige Ironie in den Worten des Hüttenbauers behagte Tarbur nicht sonderlich. Hagrims Glück war nur, dass Tarbur nicht alles verstand, was der Geschichtenerzähler von sich gab. Tarbur verstand nur eines: Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, um den Meister zu finden und zu töten. Hagrim war stattdessen nur angespannt und verwirrt, aber nicht bereit, sein Leben für den Rachefeldzug eines Ogers zu lassen.
»Pass auf, mein großer Freund«, versuchte Hagrim Tarbur zu beschwichtigen. »Wir warten noch eine Stunde auf Tirgel. Mal sehen, ob Priester Gidwick oder der Meister, oder wer er sonst ist, schon wieder imstande ist, die Messe zu halten. Dann entscheiden wir, wie es weitergeht. Vielleicht hat er auch schon Hals über Kopf die Stadt verlassen. Wenn nicht, werden wir einen Weg finden, dich zu ihm zu bringen. Schließlich habe ich auch noch eine Rechnung mit ihm offen. Seit Monaten tötet er unsere Leute, und dafür wird er bezahlen.«
Tarbur stimmte zu, obgleich ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, hier unten in der Falle zu sitzen und zu hoffen, dass sich der Meister noch nicht wieder erholt hatte. Er kannte die Hinterlist der Nesselschrecken. Er wusste, dass sie andere Leute für ihre Zwecke einspannten und die Drecksarbeit machen ließen. Er wusste das alles, nur konnte er es nicht in die richtigen Worte fassen, um es Hagrim zu erklären. Also setzte er sich wieder und hoffte, die schnelle Zunge des Hüttenbauers würde Recht behalten. Er hockte mit angezogenen Knien an der Steinwand und versuchte, Hagrims Bewegungen zu erahnen. Sein Kopf drehte sich mit jedem Schritt des Geschichtenerzählers weiter.
Hagrim lief wieder nervös in der kleinen Kammer auf und ab. Seine Hose war noch immer klamm und scheuerte bei jedem Schritt.
Sieben Schritt vom einen Ende des Raumes bis zum anderen, zählte Tarbur.
Hagrim fragte sich, wie lange Priester Gidwick wohl schon nicht mehr Priester Gidwick war, oder ob es vielleicht nie einen echten Priester Gidwick gegeben hatte. Er sah zu seinen Füßen herab und bemerkte die Reste der Weinflasche, die er gegen den Nesselschrecken geschleudert hatte. Was für eine Verschwendung. Die Flasche war noch halb voll gewesen. Er hatte sie von Meister Ostmir bekommen, damals, als er sich entschlossen hatte, hierherzuflüchten. Ein Abschiedsgeschenk, wie Ostmir es nannte. Es war genau die Sorte Roter, die Hagrim am liebsten trank. Wieder hatte der Wirt sein Geschick im Erraten von Lieblingsgetränken bewiesen.
Hagrim bückte sich. Mit einem Finger stieß er die Reste des Etiketts an. Das Papier hielt die zerbrochenen Glasstücke noch zusammen. Darunter kam der Flaschenboden zum Vorschein, der noch einen Schluck des edlen Tropfens vor dem Abwasser rettete. Wenn das nicht Schicksal war. Eigentlich hatte sich Hagrim vorgenommen, nach dem Leeren der Flasche freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Aber jetzt, wo er sie schon seit Wochen mit sich herumtrug und er sie noch immer nicht getrunken hatte, fasste er den Entschluss, falls er dies hier überleben sollte, sich lieber eine neue zu kaufen.
Glasscherben.
Hagrim setzte sich wieder in Bewegung. Er hoffte, dadurch die Nervosität und das
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