Die Oger - [Roman]
Hagrim verständnislos. »Sie sollen alle umgebracht werden, und sie denken, weil sie nichts damit zu tun haben wollen, werden sie verschont? Ich kann nur hoffen, dass die Drillinge das genauso sehen.«
Die Ersten gingen an Hagrim vorbei, ohne überhaupt begriffen zu haben, worum es ging. Sie drängten einer nach dem anderen auf den Lastkarren zu, unter dessen Plane sie das vermuteten, weswegen sie gekommen waren.
»Ist er da drunter?«, fragte jemand aus dem Pulk.
»Nein, ihr erbärmlichen Kreaturen, da habe ich nur ein kleines kaltes Buffet angerichtet für die, die nachher noch leben«, fauchte Hagrim sie an. »So wie es aussieht, wird wohl ein halber Kanten trockenes Brot und ein Fingerhut Starkbier genügen, um die Niederlage gebührend zu feiern.«
Einer der Bettler lupfte das Wachstuch vorsichtig und legte einen Fuß des Ogers frei. Tarbur richtete sich langsam auf. Das Wachstuch glitt von seinem Oberkörper herunter und legte sich zerknittert auf die Beine. Die Menge wich ängstlich zurück.
»Hüttenbauer geht. Geht zu Frauen«, sagte Tarbur mit dumpfer Stimme. »Ihr sonst sterben. Ihr keine Kämpfer.«
Die Gruppe starrte ihn fassungslos an. Einen Oger zu sehen, der ihnen direkt gegenüberstand und nicht etwas wie »gib Kuh«, sagte und sie danach tötete, veränderte ihr Weltbild.
»Wir können nirgends hin, wir haben kein Zuhause und auch keine Frauen«, ertönte wieder eine nicht genau auszumachende Stimme aus der Gruppe.
Tirgel trat vor und näherte sich unerschrocken dem Karren. Er hielt eine zweigabelige Forke in der Hand.
»Ich habe gesehen, wozu du imstande bist. Wenn du gegen das Ungeheuer kämpfst, dann werden wir dich unterstützen, so gut wir können.«
Tarbur senkte den Kopf. Es machte fast den Anschein, er verbeuge sich vor den Männern.
»Dann möge Gott von Hüttenbauern mit euch sein.« Danach schien alles gesagt, was es zu sagen gab. Die Männer formierten sich um den Karren, und Tarbur versteckte sich wieder auf der kleinen Ladefläche. Solange es ging, sollte der Oger unbemerkt bleiben.
Hagrim war sprachlos. Man hatte ihm zwar beigebracht, dass auf große Worte große Taten folgen würden, aber dass sich dieses Sprichwort auch erweitern ließ auf »großen Wesen mit kleinen Worten folgen kleine Wesen mit großer Dummheit« war ihm neu. Nichtsdestotrotz war er gerührt. Was gab es Besseres, als für seine Freiheit zu sterben? Nun gut, vielleicht in Freiheit zu leben?
Mit stolz geschwellter Brust griff Hagrim nach der Deichsel des Karrens und half mit, ihn über das holprige Kopfsteinpflaster zu ziehen. Der Tempel lag nur zwei Straßen weit entfernt. Vielleicht schafften sie es ungesehen bis dorthin.
Die Straßen waren menschenleer, als ob sich das große Unheil schon im Vorfeld angekündigt hätte und die Bürger Schutz suchend in ihren Häusern blieben. Da und dort bewegte sich ein Vorhang, eine Silhouette huschte am Fenster vorbei, eine Tür wurde eilig geschlossen und verriegelt. Unterwegs kamen sie am Siegesplatz der Trollkriege vorbei. Im Mittelpunkt stand eine überlebensgroße Statue von einem unbekannten Krieger, der den letzten Schlag gegen einen am Boden liegenden Troll vollführte. Doch anstatt eine große Streitaxt in den Händen zu halten, war er momentan damit beschäftigt, so sah es jedenfalls für den Betrachter aus, ein Stück Damenunterrock von seinem Kopf zu ziehen, den jemand dort platziert hatte.
Hagrim sah sich zu Tirgel um, der achselzuckend grinste.
Der Tempel lag direkt vor ihnen, nur noch hundert Schritt entfernt. Die Beleuchtung im Gotteshaus war bis auf die beiden Laternen außen am Eingang und eine kleine Lichtquelle im hinteren Teil des Hauptschiffes gelöscht. Das große Doppelportal mit den reich verzierten Türklopfern war geschlossen.
»Da vorn!« Hagrim deutete auf zwei Personen am Eingang des Tempels, die sich zwischen den gewaltigen Pfeilern aus Marmor aufhielten. Ihre Schatten tanzten in unnatürlicher Länge über die Straße. Hagrim stoppte den Karren, um sich einen Überblick zu verschafften. Zu den zwei Gestalten am Eingang des Tempels gesellten sich drei weitere, finster dreinblickende Schläger. Auf einen von ihnen passte die Beschreibung von Gortek. In einer kleinen Seitengasse, die auch auf dem Tempelplatz endete, wurde soeben die Straßenbeleuchtung zerschlagen. Klirrend zersplitterte das Glas und fiel zu Boden. Mehrere Personen traten in die Scherben. Hagrim hörte gleich heraus, dass es sich um mindestens fünf weitere
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