Die Oger - [Roman]
würdigte Cindiel, die vor seinem Tisch stehen geblieben war, keines Blickes.
»Kapitän Londor?«
»Egal, was dir deine Mutter erzählt hat, ich bin nicht dein Vater«, entgegnete er, ohne den Blick von seinem Glas abzuwenden.
Cindiel zog einen Stuhl zurück und setzte sich zu ihm. Londor verzog die Mundwinkel und seufzte. »Also gut, wer ist sie?«
»Darum geht es nicht«, setzte Cindiel wieder an. »Ich habe Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.«
Londor setzte das Weinglas ab, sah das Mädchen aber dennoch nicht an.
»Kleine, der Letzte, der versucht hat, mich zu erpressen, ruht auf dem Grund des Hafenbeckens. Ich kann dir versichern, er war wesentlich größer und kräftiger als du. Und er war noch nicht mal so dumm zu behaupten, er sei mit mir verwandt.«
Arroganz war etwas, das Cindiel überhaupt nicht leiden konnte. Es mochte Leute geben, die sich so ein Verhalten leisten konnten. Ihrer Ansicht nach gehörte Kapitän Londor nicht dazu. »Ich hab schon ein Dutzend großer Kerle ins Hafenbecken geschickt, glauben Sie mir. Die waren wirklich groß und stark und hätten mich auf Händen getragen, um ihnen das zu ersparen.«
Londors Reaktion ließ einen Augenblick auf sich warten, so als ob er erst darüber nachdenken musste, ob die Drohung ernst gemeint war oder nicht. Das lauthalse Lachen zeigte Cindiel, wie ernst er sie nahm. Zum ersten Mal stellte Londor Blickkontakt her.
»Nun gut, Mädchen, sag, was du sagen willst, und dann verschwinde.«
Es gab also nur einen Versuch.
»Ich möchte Ihr Schiff mieten. Sie sollen mich und ein Dutzend andere in südliches Gewässer bringen und dort auf einer Insel absetzen.«
Kapitän Londor schüttelte den Kopf, noch während Cindiel sprach.
»Ich kann es mir nicht leisten, Ärger mit den Behörden und dem Waisenhaus zu bekommen. Ihr solltet euch einen anderen Weg suchen.«
Langsam wurde ihr klar, dass der Kapitän ein schwieriger Gesprächspartner war. Cindiel wollte auf keinen Fall zu viel von ihren Plänen preisgeben. Außerdem hatte sie nicht genug Geld, um ihn umstimmen zu können, erst recht nicht, wenn er wusste, wen er wirklich befördern sollte. Es gab nur eine Möglichkeit. Ein Zauber. Sie blickte sich vorsichtig um. Niemand schien ihre Unterhaltung bis jetzt belauscht zu haben, und Londor wartete anscheinend darauf, dass sie verschwand. Cindiels leiser Singsang ging im Stimmengewirr der Nachbartische unter. Unter dem Tisch verstreute sie heimlich einige Ingredienzien, die langsam zu Boden rieselten.
»Kleines«, sagte Londor mitten in Cindiels Zauberformel, »wenn du vorhast, mit dem Herumgeträllere genügend Geld zusammenzubekommen, um dir eine Schiffspassage zu kaufen, würde ich es an einem anderen Tisch versuchen, und dann auch vielleicht lieber mit einer traurigen Geschichte.«
Cindiel hob ihre geballte linke Hand über den Tisch, öffnete die Finger langsam und pustete Kapitän Londor eine mehlige Substanz direkt ins Gesicht.
»Bist du verrückt, du dumme Göre? Nun ist aber Schluss mit dem Unsinn.«
Cindiel stand auf und sah ihrem Gegenüber tief in die Augen. »Du fährst mich und meine Begleiter mit deinem Schiff nach Süden«, sagte sie entschlossen, während sie versuchte, unter dem Staub eine Regung im Gesicht des Kapitäns zu erkennen.
Unerwartet packte Londor sie am Arm und zerrte sie grob von ihrem Platz weg.
»Dann wollen wir doch mal sehen, was die Stadtwachen zu einer entlaufenen Ausreißerin sagen.«
Ein dumpfes Krachen lief durch die Taverne. Der Boden bebte. An einigen Tischen fielen vereinzelte Gläser vom Tisch. Auch Gina gelang es nicht, das Gleichgewicht zu halten, und sie kippte rückwärts mit dem Stuhl in die Gäste. Wenige Augenblicke später wurde das Gebäude erneut erschüttert. Die ersten Gäste wurden von Panik erfasst und verließen laut schreiend die Lokalität. Die nächsten Erschütterungen dauerten länger an und waren um einiges heftiger als die zuvor. Wandteller stürzten zu Boden, Teile des Mobiliars kippten um und rissen andere Sachen mit sich. Ein Bierfass rollte hinter der Theke hervor. Die meisten Gäste stürmten zum Ausgang.
Londor hatte Cindiel losgelassen. Er setzte an, es den anderen gleichzutun, als der Holzboden unter seinen Füßen zu splittern begann und ihn wenige Augenblicke später verschluckte. Die restlichen Anwesenden nahmen keine Notiz von seinem erbärmlichen Geschrei, sie hatten nur ihre eigene Rettung im Sinn. Kurz bevor Londor ins Wasser stürzte, packte ihn jemand am Arm und hob
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