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Die Oger - [Roman]

Die Oger - [Roman]

Titel: Die Oger - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zurück, die der Ursprung des Bodennebels zu sein schien.
    In der Mitte dieses Gewölbes ruhte ein vier Schritt großes, naturbelassenes, fast kreisrundes Steinbecken, über dessen Rand der Nebel quoll und sich schwer auf den Boden legte. Der faulige Gestank war kaum auszuhalten.
    Am hinteren Beckenrand ragten zwei Ogerköpfe aus diesem ungewöhnlichen Schwefelbad hervor.
    »Du magst es, wenn ich singe, nicht wahr? Ich sehe dir an, dass es dich entspannt«, sagte Gantruost zu dem neben ihm schlafenden Truganost.
    »Man kann über unser Zuhause sagen, was man will, aber diese Schwefelbäder sind die reinste Wohltat. Die Haut gleicht danach dem Leder eines gut gefetteten Sattels. Ich bin gespannt, was die Natur noch alles für uns bereithält, wenn wir diese Insel endlich verlassen.«
    Gantruost schaute träumend über den Beckenrand. Er hatte sich den langen weißen Zopf hochgebunden, um ihn vor den Auswirkungen des Bades zu schützen.
    »Hm, was hast du gesagt?«, fragte er.
    »Manchmal habe ich den Eindruck, Truganost, es kümmert dich nicht, was um uns herum geschieht. Du tust so, als ob dich die Bestimmung nichts angeht. Dabei bist du es doch, der den größten Nutzen davon hat.« Die ausgesprochen elegante Wortwahl Gantruosts schien ihm keine Anstrengung zu bereiten.
    Truganost schlief.
    »Du wirst sehen, er kommt. Und er kommt nicht allein, er bringt noch andere mit. Er hat sogar einige Menschen davon überzeugt, ihm zu helfen. Menschen, hörst du? Dieselben, die uns ein Leben lang gejagt, verbannt oder getötet haben. Sie alle werden kommen, um uns zu hören und um sich bei uns Rat zu holen. Und wir werden sie leiten. Das ist unser Schicksal.« Begeistert stimmte Gantruost wieder sein Lied an.
    Truganost schlief weiterhin.
    »Das musst du dir mal vorstellen, sie reisen mit einem Schiff. Das ist in etwa so, als ob man einem Zwergen Flügel ankleben würde, oder als ob ein Elf sich durch die Erde bohren müsste. Er wird alles verändern, und du wirst dabei sein, mein Freund.«
    Im Laufe der Zeit hatte Gantruost eine Vielzahl an Möglichkeiten entwickelt, in die Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit zu blicken. Er hatte seine Fähigkeiten immer weiter ausgebaut und war dabei auf eine Unmenge von Darstellungsmöglichkeiten gestoßen. Die ersten Jahre im Exil hatte er damit zugebracht, unentwegt nach einem Zeichen zu suchen, welches das neue Zeitalter der Oger einleitete, aber er fand keinen einzigen Hinweis auf die Prophezeiung. Er wusste damals noch nicht einmal, wonach er genau suchen sollte. In den späteren Jahren hatte er es aufgegeben, sich damit zu beschäftigen. Vielleicht hatte er sogar aufgegeben, daran zu glauben. Vom einen Tag zum anderen hatte sich alles verändert. Er war dazu übergegangen, vereinzelte Angehörige seines Volkes mit seinen Fähigkeiten zu beobachten, um so jedenfalls einen kleinen Einblick in ihre Welt zu bekommen - die Welt, aus der er verbannt war, wenn auch freiwillig.
    Gantruost hatte Spaß daran, ihr Leben zu verfolgen, um seines damit zu bereichern. Er stieß dabei auf einen Oger, der sich nahe der Menschensiedlungen aufhielt, um sich seinen Wintervorrat zu sichern. Gantruost erfreute sich daran, zu sehen, wie es der Oger immer wieder schaffte, entweder mit Glück oder mit Erfahrung den Menschen zu entkommen. Dieser Oger führte das Leben, das er immer führen wollte. In seiner Begeisterung beschloss er, die anderen daran teilhaben zu lassen. Dann geschah das Unvorstellbare. Durch einen Zufall gelangte dieser Oger in den Besitz eines magischen Amuletts. Ein Oger, der es geschafft hatte, Stärke und Intelligenz miteinander zu kombinieren. Das war das Zeichen, nach dem er jahrelang Ausschau gehalten hatte. Das war ihre Bestimmung.
    Gantruost senkte den Kopf über das Schwefelbad und sog einen großen Teil der Dämpfe ein. Er schloss die Augen und atmete langsam aus. Die gelblichen Schwaden formten sich zu einem Gebilde. Auf der Oberfläche des Beckens erschien ein Segelschiff. Die Form war zunächst unstet, aber nur Augenblicke später hatte sich das Bild gefestigt und veränderte die Farben. Wenn man davon absah, dass das Schwaden-Gebilde leicht durchscheinend war, hätte man annehmen können, es handele sich um ein kleines Modellschiff. Bei genauerem Hinsehen konnte man sogar kleine Menschen erkennen, die geschäftig über das Deck liefen.
    Gantruost öffnete die Augen und erfreute sich seiner erschaffenen Illusion. Plötzlich geriet das Schiff ins Schwanken, und die Segel

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