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Die Oger - [Roman]

Die Oger - [Roman]

Titel: Die Oger - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zwar nicht am unwahrscheinlichsten, aber am unerfreulichsten erschien. Ein gut ausgebildeter Reiter mit entsprechender Bewaffnung konnte einem Oger schlimm zusetzen. Mogda positionierte sich an der Wand zwischen zwei Fenstern und schaute vorsichtig hinaus. Mit Erleichterung stellte er fest, dass ein älterer Bauer mit einem Karren voll Brennholz, gezogen von einem alten Ross, und fünf Kühen im Schlepptau, aus westlicher Richtung auf den Turm zutrottete. Der kommt mir gerade recht, dachte Mogda, somit muss ich mich nicht um Brennholz kümmern, und der Proviant bis zum Frühlingsanfang ist auch gesichert.
    Der Alte hatte anscheinend alle Zeit der Welt. Er brauchte schon drei Anläufe, um den Wagen so hinzustellen, dass er zufrieden war. Dann überprüfte er akribisch die Verzurrungen der Kühe, begutachtete den Wagen, fütterte schließlich sein Ross und tätschelte ihm liebevoll den Hals. Mogda hatte einem Pferd noch nie so viel Zuneigung geschenkt, für gewöhnlich sprach man ja auch nicht mit seinem Essen. Der Oger hoffte, dass der Bauer das rund fünfzig Schritt entfernte Grab nicht bemerkte oder es nicht als solches erkannte.
    Langsam kam der Alte auf den Turm zu, den Blick immer auf den Boden gerichtet. Seine Bewegungen machten einen müden Eindruck. Er erreichte die Tür, klopfte kurz an und kam gleich herein, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Schneller als der Mann seinen Blick schweifen lassen konnte, griff Mogda seinen Nacken, hob ihn daran hoch, und drückte ihm mit zwei Fingern der anderen Hand den Mund zu. Er drehte den Alten zu sich, wie ein Puppenspieler eine Handpuppe bewegt. Der Bauer blieb nicht lang genug bei Bewusstsein, um das volle Ausmaß seiner Schwierigkeiten begreifen zu können.
    Mogda wollte den Alten nicht töten. Er konnte sich ohnehin alles nehmen, ohne dass der Bauer es hätte vereiteln können. Er legte den Alten behutsam auf den Boden und rollte ihn, vom Hals abwärts, in den Teppich, der unter dem Tisch lag. Mogda hatte bis jetzt nicht erkannt, wofür man einen Teppich brauchen konnte, doch jetzt erfüllte er seinen Zweck. Er zog das Teppich-Paket hinüber zu einer kleinen Vitrine, die mit Büchern gefüllt war, und stellte sie auf die beiden überhängenden Enden des Teppichs. Der Alte atmete ruhig und beständig. Wenn er aufwachte, konnte er sich erst einmal von dem Schreck erholen, ohne gleich in Panik zu flüchten.
    Mogda kümmerte sich unterdessen erst einmal um die mitgebrachten Geschenke. Es war gar nicht so einfach, die Tiere davon zu überzeugen, dass sie nicht in unmittelbarer Gefahr schwebten. Aber ohne hastige Bewegungen zu vollführen, gelang es Mogda, die Kühe hinter den Turm zu bringen und dort am Gatter festzumachen. Ganz anders verhielt sich das Pferd. Trotz seines vermutlich hohen Alters wurde es recht munter, als Mogda auf das Tier zuging. Nach einer Weile des Beobachtens schlug Mogda dem Pferd unerwartet mit einer schnellen Abwärtsbewegung auf den Schädel. Das Tier brach bewusstlos zusammen. Er zog es an allen vier Hufen hinter sich her, um es dann neben den Kühen festzuzurren. Den Karren mit Feuerholz deponierte er gleich neben der Eingangstür. So würde er sich im Winter den Weg nach draußen sparen. Er drehte sich noch einmal um die eigene Achse, um zu überprüfen, ob alles unverdächtig aussah, falls noch mehr Besucher eintreffen sollten. Mit einem zufriedenen Nicken betrat er wieder den Turm.
    Sichtlich verwundert, aber kaum beunruhigt, sah er sich dem alten Bauern gegenüber. Dieser hatte es anscheinend geschafft, sich selbst aus dem Teppich zu befreien, und stand nun mit einem Holzscheit bewaffnet neben dem Kamin. Mogda drehte sich kurz um und schloss die Tür, um sich dann seinem Angreifer zu stellen. Dieser machte keine Anstalten, ihn zu attackieren, was Mogda nicht verwunderte. So standen sie sich für zwei, drei Augenblicke gegenüber, der Bauer trotz leichter Gicht angespannt und kampfeslustig, Mogda eher gelangweilt.
    »Was ist?«, fragte Mogda, »warten wir jetzt, bis einer von uns an Altersschwäche stirbt, oder hungern wir uns gegenseitig aus?«
    »Du ... du ... du sprichst«, stammelte der Alte.
    »Du, du, du auch, aber du stotterst ganz furchtbar«, entgegnete Mogda, in einem für einen Oger ungewöhnlich ironischen Tonfall. »Ich dachte immer, dass Menschen genau nachdenken, bevor sie handeln. Das, was du da gerade versuchst, ist Selbstmord, aber wenn du keinen anderen Ausweg siehst, kann ich dir helfen. Ansonsten schmeiß endlich den

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