Die Oger - [Roman]
unbeträchtlich aufs Gemüt.
Rator war der Erste, der das Schweigen brach. Plötzlich stand er auf und schaute angestrengt den Gang hinunter. »Wanderer.«
Er griff nach seiner Axt und wischte die letzten Lehmreste und das angetrocknete Blut von der Klinge.
»Wenn sollen sein letzte Gegner, hoffen Tabal schicken reichlich«, sagte er und schritt den Gang entlang.
Mogda blickte Rator hinterher und entschied, dass er keine Hilfe benötigen würde, egal wie viele von den Wanderern dorthinten im Gang lauerten. Er fragte sich, welchen Zweck diese Wesen wohl erfüllten. Wozu brauchte man wortkarge Patrouillen, wenn es ohnehin kein Entrinnen gab? Und wie konnten sie es schaffen, sich in dem Labyrinth so gezielt zu bewegen? Anscheinend befürchteten die Meister, dass sich jemand hier unten einschleichen könnte, der ihnen gefährlich werden würde. Sie hatten Angst vor jemandem, der den Zauber brechen und ihr Geheimnis lüften konnte. Deshalb hatten sie die Wanderer geschickt ... geschickt?
»Halt, Rator, lass einen am Leben!«, rief Mogda seinem Kameraden aufgeregt hinterher, der bereits in der Dunkelheit verschwunden war.
Ein kurzer Fauchlaut hallte durch den Gang, gefolgt von einem Quieken, das entfernt an ein Schwein auf der Schlachtbank erinnerte. Dann verstummten alle Geräusche.
»Rator«, rief Mogda erneut.
Weiter hinten im Tunnel machte er die massige Gestalt Rators aus, die etwas hinter sich herzog. Als er näher kam, erkannte Mogda den Wanderer, den Rator am Fußknöchel gepackt hatte und über den Boden schleifte. Das andere Bein war in Höhe des Knies abgetrennt. Verzweifelt versuchte der Wanderer, seine krallenartigen Finger in den lehmigen Boden zu graben und Halt zu finden.
»Du Glück«, sagte Rator, als er vor Mogda stand und das halb menschliche Wesen nach vorn zog und einen Fuß auf seinen Rücken stellte, um ihn am Boden zu halten. »Drei Wanderer schlecht treffen mit einem Schlag. Stehen zu weit auseinander.«
Die Kreatur vor ihnen hatte noch immer ihre verwandelte Gestalt und fauchte ungeachtet ihrer schweren Verletzung hasserfüllt.
»Lass es los«, wies Mogda Rator an.
»Besser gleich töten«, wandte Rator ein. »Nicht wissen, wie schnell heilen Wunden.«
»Was hast du vor, Mogda?«, fragte Cindiel ängstlich. »Rator hat Recht, vielleicht fällt es uns später in den Rücken.«
»Nein, ich will es nicht entkommen lassen, ich will sehen, wohin es geht«, erwiderte Mogda. »Du hast gesagt, man kann sich in diesem Gefängnis nur bewegen, wenn man den Auftrag dazu erhalten hat. Irgendwie schaffen diese Wesen es immer wieder, uns zu finden. Wenn sie geschickt worden sind, um Eindringlinge aufzustöbern, haben sie sicherlich auch Anweisungen bekommen, was zu tun ist, wenn sie welche gefunden haben. Sie müssen zu einem Ort zurückkehren, an dem sie neue Befehle erhalten können.«
Niemand sagte ein Wort, während alle Mogdas Überlegungen bedachten. Der Wanderer hatte mittlerweile tiefe Furchen in den Lehmboden gekratzt. Sein Beinstumpf blutete nicht so stark, wie man es von solch einer Wunde erwartet hätte, und auch sein Schmerzempfinden schien eingeschränkt. Ein Mensch hätte schon lange das Bewusstsein verloren. Die Kreatur jedoch hatte nur ihr Entkommen im Sinn.
Rator hob den Fuß vom Rücken des Wanderers und machte einen Satz zurück, als dieser mit einer Kralle nach seinem Schenkel schlug. Dann kroch das Wesen im Eiltempo davon. Die Krallenhände hackten sich abwechselnd in den Boden und zogen den schwer geschundenen Körper hinter sich her. Die Geschwindigkeit, mit der es sich trotz seiner Behinderung vorwärts bewegte, war beeindruckend. Der Körper des Wanderers schlängelte sich zur Unterstützung hin und her, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Nach rund zweihundert Schritt gabelte sich der Gang plötzlich. Es war noch nicht lange her, da hatten sie diese Stelle bereits passiert, aber keinen Seitengang gesehen.
Der Wanderer schien auf seiner Flucht das Labyrinth neu zu formen und zu verändern. Knochige Baumwurzeln ragten nun plötzlich aus der Decke und streckten sich nach unten, wie skelettierte Finger, die einen Weg aus ihrem sandigen Grab suchten. Die vormals kargen Wände wurden jetzt von allerhand verschiedenen Steinen und vereinzelten Tierknochen geziert, die die lehmige Erde unter dem Moor im Laufe der Jahrhunderte verschluckt hatte.
Zwei weitere Kreuzungen passierten sie auf ihrem Weg, bis sie nach rund einer Meile wieder an dem Tor ankamen, an dem ihre Reise in das
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