Die Oger - [Roman]
ein. Sein Geist sträubte sich, aber seine Muskeln führten den Befehl aus. Stockend setzte er einen Fuß vor den anderen. Er bewegte sich wie eine Marionette, die zwar einen eigenen Willen hatte, aber dennoch den Weisungen des Puppenspielers folgen musste.
»Das Wasser.« Das war es! Es floss nicht. Wenn es vor ihm einen Ausgang geben würde, hätte das Wasser in diese Richtung fließen müssen. Das tat es aber nicht.
Es war zu spät. Wieder setzte er einen Fuß vor, aber diesmal fand er keinen Halt. Er trat ins Leere und stürzte kopfüber in ein Auffangbecken, gefüllt mit Abwässern.
Seine langen Arme ermöglichten es ihm, die gegenüberliegende Seite zu packen. Der Stein und die Ketten zogen schwer an ihm. Seine Körperkraft reichte nicht aus, um sich über den Rand in Sicherheit zu bringen. Der Boden war glitschig, und er drohte abzurutschen. Wenn er den Halt erst einmal verloren hatte, würde es für ihn keine Chance geben, wieder an die Oberfläche zu gelangen.
»Meister, helft mir«, presste er unter großer Anstrengung hervor.
Mit letzter Kraft blickte er über die Schulter. Er sah, wie der Meister sich ihm näherte. Der Meister schwebte seitlich der Zisterne zu ihm heran. Sein Blick war eisig, als ob er sich ärgerte, noch einmal gestört worden zu sein. Er hockte sich neben Tarbur und sah diesen erwartungsvoll an. »Sag mir eines, mein Lieber, hast du wirklich geglaubt, wir beten zu den gleichen Göttern?«
Verwunderung, langsames Begreifen und Hoffnungslosigkeit spiegelten sich nacheinander in Tarburs Gesicht wider.
»Werde kommen und dich ausweiden wie Fisch«, stöhnte Tarbur.
»Mag sein, aber nicht in diesem Leben.« Der Meister griff nach hinten und zog einen gekrümmten Dolch aus seinem Gürtel. Ohne eine sichtbare Gefühlsregung stieß er Tarbur die Klinge seitlich in die Schläfe. Tarbur versank im Wasser.
21
Trauer
In Osberg schien das erste Licht des Tagesanbruchs. In den frühen Morgenstunden, nachdem die Straßenlaternen gelöscht wurden, gab es eine Zeit, in der die Stadt in völliger Dunkelheit lag. Doch kurze Zeit später leuchtete hinter den ersten Fassaden wieder Licht. Bäcker gingen ihrem Tagesgeschäft nach, Karawanenführer verstauten ihre Ausrüstung, und eifrige Ladenbesitzer sortierten die Auslagen in ihren Schaufenstern neu. Vom erhöhten Standpunkt der Ost-West Straße aus glichen die Lichter in Osberg einem Sternenbild. Für Cindiel war es mehr als nur das. Noch nie war sie glücklicher gewesen, diese Stadtmauern wieder zu sehen. Endlich heimzukehren, sich in Sicherheit zu fühlen, und diesen ganzen Albtraum vergessen zu können.
Mogda, Rator und die anderen sahen in dieser Stadt nur eines: eine Station auf ihrem Weg, eine Möglichkeit, die Reise mit ein wenig Unterstützung fortzusetzen. Diese Stadt und einige ihrer Bewohner waren vielleicht dazu in der Lage, ihnen zu helfen, die Wahrheit zu finden und unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.
Mogda wusste nicht viel über die Städte. Er hatte sich immer von ihnen ferngehalten. Die Stadtmauer machte ein Eindringen für ihn unmöglich. Und selbst wenn er einen Weg hineingefunden hätte, in einer Stadt wie dieser lebten zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Die Wahrscheinlichkeit für einen Oger, hier unbemerkt durchzuschlüpfen, lag bei null, und das Risiko lohnte den Aufwand nicht. Es war einfacher, ein Stück Vieh von der Weide zu tragen und dabei in Kauf zu nehmen, von einem wütenden Bauern mit einem uralten Bogen beschossen zu werden.
Zum Glück hatten sie ja auch nicht vor, die Stadt zu betreten, obwohl Mogda den Kriegsogern einen solchen Vorschlag durchaus zugetraut hätte. Als Cindiel ihnen geraten hatte, sich in der Kanalisation zu verstecken, hatte Mogda Rator angesehen, dass der in Hüttenbauern keine echte Gefahr sah. Rator hatte Cindiels Vorschlag aber zugestimmt. Ausschlaggebend dafür war die Tatsache, dass sie von einem uneinschätzbaren Wesen verfolgt wurden. Sie hofften, die Tunnelwände der Kanalisation würden ihnen genug Schutz bieten, falls der Schattenwurm ihnen auch in die Nähe einer Stadt folgen würde.
Die Beharrlichkeit des Wesens ließ Mogda allerdings daran zweifeln, dass es sich von Menschen, Städten oder sonst irgendetwas abhalten lassen würde, sie aufzuspüren. Die Idee sich unter einer Stadt zu verstecken, in der jeder dazu bereit war, sie zu töten, nur um einem Wurm zu entkommen, ließ ihn nicht unbedingt aufatmen. Er ersparte sich alle weiteren Gedanken daran, denn ihr Ziel
Weitere Kostenlose Bücher