Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Oger - [Roman]

Die Oger - [Roman]

Titel: Die Oger - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
entstand ein Sog, der sich wie ein Wasserstrudel absenkte. Der Trichter wurde immer tiefer. Er begann, seine Form zu ändern. Aus dem Sog bildeten sich Ansätze von Stufen heraus. Plötzlich erstarrte die graubraune Masse. Ein Licht wurde entzündet. Der Meister kam die magisch geformten Stufen herauf. Seine Bewegungen waren so gleichmäßig, dass es aussah, als ob er gleite. Er hatte das typische Gewand der Meister an. Für Tarbur sahen sie alle gleich aus. Sie hatten alle dieselbe Art zu sprechen und anscheinend auch das gleiche Wissen. Sie waren wie eine Person, die an vielen Orten gleichzeitig sein konnte.
    Tarbur wollte gerade zu einer Begrüßung ansetzen, als der Meister ihn mit einer raschen Bewegung zum Schweigen anhielt. Der Meister schritt ganz nah an ihn heran und flüsterte: »Es wird Zeit, dass wir gehen. Stell keine Fragen und folge mir. Mach keinen Lärm, wir brauchen einen gewissen Vorsprung.«
    Er ging zur Wand hinter Tarbur und streckte den Arm aus. Mit seinem langen, dünnen Zeigefinger fuhr er die Fugen der Mauersteine in einem Radius von einem Fuß um die Kette herum ab. Dann führte er die Fingerspitzen an die Schläfen und schloss die Augen. Die Nesselstränge in seinem Gesicht vibrierten. Mit einem Krachen löste sich das Stück Wand heraus. Ein sauberer Riss in der Fuge erlaubte es Tarbur, diesen zwei Fuß großen Wandausschnitt herauszuziehen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn der Meister die Ketten gelöst hätte. Aber so würde es auch gehen. Tarbur nahm das Mauerstück in beide Hände und folgte dem Meister, der schon wieder auf dem Weg in die Kanalisation war. Kaum hatte er die ersten Schritte in den wenig Wasser führenden Tunneln hinter sich gebracht, als die magische Treppe anfing, sich wieder zu verflüssigen. Die Tunnel waren nicht hoch genug, damit Tarbur darin aufrecht gehen konnte. Seine gebückte Haltung erschwerte das Tragen der Mauersteine. Er ließ sich aber nichts anmerken und folgte dem Meister stumm.
    Der Meister wechselte so häufig die Richtung, dass Tarbur schnell die Orientierung verlor. Sie kamen an mehreren Aufgängen vorbei, die in die Oberstadt führten. Man konnte den Trubel auf den Straßen und das Stampfen von Pferdehufen vernehmen. Mehrfach kreuzten sie größere Hallen, in denen mehrere Tunnel sternförmig aufeinandertrafen. Der Meister schritt zielstrebig von einem Gang in den nächsten. Er kannte sich hier unten offenbar gut aus. Er brauchte kein Licht und keine versteckten Zeichen, um sich zurechtzufinden. Tarbur hätte sich gewünscht, vor ihrem Aufbruch noch etwas gegessen zu haben. Wenn der Meister ihn hier herausgeführt hatte, würde es sicher kaum Zeit zu rasten geben. Tarbur würde möglichst schnell Abstand zwischen sich und die Stadt bringen. Er musste es bis zur Wüste schaffen, erst dort war er in Sicherheit. Er war erleichtert, die große Schlacht doch noch miterleben und Tabal seine Ehre erweisen zu können.
    Der Meister bog in einen Tunnel ein, der sich weit hinten in der Dunkelheit verlor. Hier waren keine Abzweigungen zu erkennen, keine Aufgänge in die Stadt. Der Meister hielt an.
    »Wir sind am Ziel. Folge dem Tunnel bis ans Ende. Danach bist du in Freiheit«, sagte er ohne Umschweife.
    »Meister, die Ketten?«, fragte Tarbur vorsichtig.
    »Ach ja, die Ketten«, sagte der Meister, beinahe schon ungeduldig. »Hier, nimm diesen Schlüssel. Öffne sie aber erst, wenn du nach draußen gelangt bist. Deine Flucht darf nicht mit der Kanalisation und mir in Verbindung gebracht werden.«
    Der Meister gab ihm den Schlüssel. Tarbur war zwar kein Spezialist, was Schlösser anging, aber dieser alte geschwungene Messingschlüssel machte auf ihn nicht den Eindruck, zu den eisernen Handfesseln zu passen. Das ungeduldige Zischen des Meisters hielt ihn aber davon ab, nachzufragen.
    »Los, beeil dich. Wir haben keine Zeit mehr.«
    Tarbur trottete los. Irgendetwas stimmte nicht. Der Tunnel kam ihm vor wie eine Sackgasse. Er spürte den bohrenden Blick des Meisters in seinem Rücken. Es gab keine weiteren Anweisungen, keine Verhaltensmaßnahmen für den Notfall und, was das Eigenartigste war, keine Ermahnungen. Tarbur tauchte weiter in die Dunkelheit ein. Das Gewicht des Steines schien immer schwerer zu werden. Er blieb stehen. Ohne sich umzudrehen, konnte er die Anwesenheit des Meisters noch immer spüren.
    »Geh weiter, Tarbur, mach schon.«
    Die Worte, die an sein Ohr drangen, waren nicht nur Worte, sie befahlen ihm, zu gehorchen. Sie flüsterten es ihm

Weitere Kostenlose Bücher