Die Oger - [Roman]
nicht begreifen. Die Trauer schnürte ihr die Kehle zu. Sie wollte nicht vor Frau Mergil die Fassung verlieren und stürmte an ihr vorbei aus dem Haus. Auf dem Hinterhof verließen sie die Kräfte. Sie fiel auf die Knie und schrie ihre Trauer und ihre Wut heraus. Sie hörte, wie Frau Mergil auf sie zukam und versuchte, sie mit beruhigenden Worten zu trösten. Cindiel vergrub ihr Gesicht in den Händen. Immer neue Weinkrämpfe nahmen ihr die Luft zum Sprechen. Sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Frau Mergil wollte sie auf die Beine stellen, aber Cindiel wehrte sich dagegen und konnte sich schließlich losreißen.
»Komm, Kindchen, ich bringe dich zu Priester Gidwick. Da kannst du erst einmal im Waisenhaus bleiben. Die werden für dich sorgen.«
»Nein, ich will nicht ins Waisenhaus, ich bleibe hier«, schniefte Cindiel.
»Das geht nicht. Komm Mädchen, ich bringe dich hin.«
»Großmutter hat mir erzählt, sie habe bei Ihnen Geld hinterlegt, von dem ich leben kann, wenn sie einmal stirbt. Das sollte reichen, bis ich selbst etwas verdiene. Es ist nicht viel, aber ich komme damit über die Runden, hat sie gesagt.«
Frau Mergils Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich in ihrem Gesicht. Ihr Blick wurde hart.
»Nein, Kindchen, das musst du falsch verstanden haben. Ich habe kein Geld von deiner Großmutter bekommen. Im Gegenteil, sie schuldete mir noch etwas. Dafür habe ich mir einiges von ihrem Mobiliar genommen. Und das wird noch nicht mal reichen. Es tut mir leid, aber sie konnte einfach nicht gut mit Geld umgehen. Komm, ich bringe dich jetzt zum Priester.«
Wieder griff sie nach Cindiels Hand, entschlossener diesmal. Cindiel stemmte sich dagegen, doch die Kräfte und ihre Körpermassen waren zu ungleich verteilt.
»Nein, lass mich los. Hilfe!«, schrie sie. Ihre Anspannung nahm zu. Ihre Gedanken fokussierten sich auf die Hand, die sie ergriffen hatte. Sie spürte, wie die Kraft der Magie ihr zu Hilfe eilte.
»Au, du verdammte kleine Hexe«, schrie Frau Mergil auf. »Das ist nun der Dank dafür, dass man hilfsbereit sein will.« Sie holte aus, um Cindiel eine Ohrfeige zu verpassen.
Im selben Moment löste sich der Deckel der Kanalisation wie durch eine Explosion vom Straßenpflaster und schoss fast zehn Schritt in die Höhe. Er landete mit ohrenbetäubendem Lärm nicht weit von Frau Mergil entfernt, die schreiend in ihr Haus flüchtete.
»Du bist ja gefährlicher als diese Monster aus den Bergen. Das werde ich alles den Stadtwachen melden. Die werden dich schon zur Vernunft bringen«, rief sie durch einen Spalt in der Tür.
Der Krach des aufschlagenden Deckels hatte Cindiels Konzentration gestört. Der Zauber war verloren. Vielleicht war es auch besser so. Sie starrte auf den Einstieg. Niemand war zu sehen. Der Deckel war zu schwer, um ihn zu bewegen. Sie schlurfte auf das offene Loch im Pflaster zu und schaute hinunter. Ein spärlicher Haarschopf und zwei Augen starrten sie aus der Tiefe an. Kruzmak.
»Alles gut?«, fragte er.
»Nein.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Meine Großmutter ist gestorben, und ich glaube, dass das kein Zufall ist. Ich werde noch etwas Zeit brauchen, um mehr herauszufinden. Es ist besser, wenn ihr euch etwas weiter zurückzieht, falls die Wachen kommen und den Einstieg untersuchen. Heute Abend bin ich zurück.«
Cindiel ging zurück ins Haus. Neben einigen Andenken nahm sie noch das alte Zauberbuch ihrer Großmutter mit, das in einem Wandzwischenraum versteckt war. In dem Buch waren neben einigen Zauberformeln und Ritualen wichtige Regeln für die Anwendung der Magie enthalten. Im hinteren Teil standen alle üblichen Ingredienzien, die man für Zaubersprüche verwendete. Hier und da hatte ihre Großmutter einige Anmerkungen dazugeschrieben. Zwischen den Seiten des Buches ragte ein Zettel hervor. Hier hatte ihre Großmutter die Formeln für einen Wahrheitszauber und die nötigen Zutaten aufgeschrieben. Auf der Rückseite hatte sie sich weitere Notizen gemacht.
»Wohin bringt ihr die Zwerge? Wer befehligt euch? Was ist mit den Kindern geschehen? Warum greift ihr nicht an? Trolle?«
Ein Satz war wieder ausgestrichen.
»Hast du Cindiel gesehen?«
Der Zettel war nicht alt. Er musste irgendetwas mit dem Mord an ihrer Großmutter zu tun haben. Sie steckte ihn wieder zurück zwischen die Seiten.
Cindiel hoffte, dass ihr das Buch die Möglichkeit geben würde, ihre Fähigkeiten noch weiter auszubauen, denn die würde sie brauchen.
Das bisschen Gold aus dem
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