Die Operation
als sich herausstellte, dass Spencer Wingate, einer seiner neuen Vorgesetzten, über seinen Rückzug aus dem Geschäftsleben nachdachte. Alles andere war Vergangenheit.
»Wenn mich nur meine Freunde jetzt sehen könnten!«, murmelte Paul glücklich vor sich hin, während er den Hauptkorridor des Kellergeschosses entlangging. Solche Überlegungen waren mit sein liebster Zeitvertreib. Natürlich hatte der Begriff Freunde für ihn eine sehr unbestimmte Bedeutung, da er kaum welche hatte. Die meiste Zeit seines Lebens war er zu einem Dasein als Einzelgänger gezwungen gewesen, nachdem er während seiner prägenden Jahre permanent als Zielscheibe für Spott und Hohn hatte herhalten müssen. Er war schon immer ein harter Arbeiter gewesen, und doch bestand sein Schicksal darin, dass es ihm nicht gelang, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, nicht einmal mit seinem medizinischen Doktortitel. Aber jetzt stand ihm ein hervorragend ausgestattetes Labor zur Verfügung und die FDA konnte ihm nichts mehr anhaben, jetzt hatte er die richtige Ausgangsbasis zur Verfügung, um Biomediziner des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts zu werden, vielleicht sogar des Jahrhunderts, wenn man in Betracht zog, dass die Wingate Clinic durchaus über das Potenzial verfügte, sowohl beim reproduktiven als auch beim therapeutischen Klonen eine Monopolstellung einzunehmen. Die größte Ironie überhaupt lag natürlich in der Vorstellung, dass er ein berühmter Wissenschaftler werden sollte. Er hatte das nicht geplant, verfügte nicht über eine entsprechende Ausbildung und hatte sogar die zweifelhafte Ehre genossen, die medizinische Hochschule als Jahrgangsschlechtester abzuschließen. Paul lachte unhörbar. Er wusste, dass er seine momentane Position nicht nur dem Glück verdankte, sondern auch der Tatsache, dass sich die Politiker in den USA immer noch in erster Linie mit der Abtreibungsfrage beschäftigten. So wurde zum einen eine wirksame Kontrolle des Geschäftes mit der Reproduktionsmedizin verhindert und gleichzeitig die Stammzellenforschung behindert. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann wären die Forschungen in den USA schon jetzt ebenso weit wie seine eigenen.
Paul klopfte an Kurt Hermanns Tür. Kurt war der Sicherheitschef der Klinik und einer der Ersten, die Paul eingestellt hatte. Schon bald nachdem er seine Arbeit an der Wingate Clinic aufgenommen hatte, hatte Paul gespürt, welch enormes Profitpotenzial in unerfüllten Kinderwünschen schlummerte, besonders dann, wenn man bereit war, die Grenzen des Erlaubten etwas auszudehnen und sich die sehr lückenhafte Kontrolle in diesem Bereich zu Nutze zu machen. Daher war Paul davon ausgegangen, dass die Frage der Sicherheit eine zentrale Rolle spielen würde. Er hatte versucht, den richtigen Mann dafür zu finden, jemanden, der wenig Skrupel hatte, falls drakonische Maßnahmen notwendig wurden, jemanden, der absolut loyal war und der schon über ernst zu nehmende Erfahrungen verfügte. All dies hatte er in Kurt Hermann gefunden. Die Tatsache, dass der Mann im Anschluss an eine Reihe von Prostituiertenmorden auf der Insel Okinawa unehrenhaft aus einer Spezialeinheit der US-Army entlassen worden war, bereitete Paul keinerlei Kopfzerbrechen. Im Gegenteil, er hatte das eher als Vorteil angesehen.
Nachdem er ein »Herein« vernommen hatte, machte Paul die Tür auf. Kurt hatte die Gestaltung seines Kellerbüros selbst in die Hand genommen. Der Hauptraum - eine Kombination aus Büro und Fitnessstudio - war mit zwei identischen Schreibtischen und ebensolchen Stühlen sowie einem halben Dutzend Kraftmaschinen ausgestattet. Dazu kam noch eine Matte, die für Taekwondokämpfe genutzt wurde. An den Hauptraum schloss sich ein Überwachungszimmer mit einer kompletten Wand voller Monitore an, die alle Bilder der über den Klinikkomplex verteilten Kameras zeigten. Außerdem besaß das Büro noch einen kurzen Flur, von dem ein Schlafzimmer und ein Bad abgingen. Kurt hatte zwar noch eine andere, größere Wohnung drüben im Laborgebäude, aber gelegentlich verbrachte er etliche Tage ununterbrochen hier unten. Gegenüber dem Büroschlafzimmer gab es noch eine Arrestzelle, komplett mit Waschbecken, Kloschüssel und einer Pritsche aus Eisen.
Paul registrierte das metallische Klicken von Gewichten und wandte seine Aufmerksamkeit dem Bereich mit den Kraftmaschinen zu. Kurt Hermann setzte sich vom Bankdrücken auf. Er trug seine übliche Kleidung: eng anliegendes schwarzes T-Shirt, schwarze Hose
Weitere Kostenlose Bücher