Die Operation
mich ›braves Mädchen‹ zu nennen, dann reiß dich gefälligst zusammen.«
Kapitel 24
Sonntag, 24. März 2002, 10.22 Uhr
Wenn Arztbesuche für Ashley Butler im Lauf der Jahre immer schwieriger geworden waren, weil er dadurch, ohne es zu wollen, an seine eigene Sterblichkeit erinnert wurde, so galt das in noch viel größerem Maße für Krankenhausaufenthalte. Da machte auch seine Ankunft in der Wingate Clinic keine Ausnahme. Sosehr er sich mit Carol während der Fahrt auch über seinen simplen Decknamen lustig gemacht hatte, sosehr er während der Aufnahmeprozedur seinen Charme an die Schwestern und Techniker versprüht hatte, im Innersten hatte er schreckliche Angst. Besonders die Begegnung mit dem Neurochirurgen, Dr. Rashid Nawaz, war eine große Herausforderung für seine zerbrechliche Maske der Unbekümmertheit. Er sah anders aus als in Ashleys Vorstellung, obwohl er seinen Namen, der seine Herkunft eindeutig verriet, gekannt hatte. Vorurteile hatten in Ashleys Gedankenwelt schon immer eine Rolle gespielt, und jetzt waren sie aktiviert. In seiner Vorstellung sollten Gehirnchirurgen groß gewachsene, ernsthafte und gebieterische Gestalten bevorzugt nordischer Herkunft sein. Stattdessen stand er einem kleinen, schmalen, dunkelhäutigen Menschen mit noch dunkleren Lippen und Augen gegenüber. Andererseits sprach er mit einem singenden englischen Akzent, der seine in Oxford genossene Ausbildung widerspiegelte. Und ebenfalls positiv war zu vermerken, dass er Vertrauen und Professionalität gepaart mit einem Schuss Mitgefühl ausstrahlte. Der Mann hatte Verständnis für Ashleys schwierige Situation als Patient kurz vor einem ungewöhnlichen Eingriff, fühlte mit und wirkte gleichzeitig beruhigend, indem er Ashley versicherte, dass die bevorstehende Operation überhaupt nicht schwierig sei.
Dr. Newhouse, der Anästhesist, entsprach schon eher Ashleys Vorstellungen. Als leicht übergewichtiger Engländer mit rötlichen Wangen ähnelte er jenen weißen Ärzten, mit denen Ashley früher schon zu tun gehabt hatte. Er trug OP-Kleidung, komplett mit Mütze und Atemschutz. Die Schutzmaske war hinten im Nacken zusammengeknotet und baumelte ihm auf der Brust. Um den Hals hing ein Stethoskop und aus seiner Brusttasche schaute eine Kugelschreibersammlung hervor. Eine aus braunen Gummischläuchen bestehende Aderpresse hatte er um den Hosenbund geschlungen.
Mit ermüdender Gründlichkeit war Dr. Newhouse Ashleys Krankengeschichte durchgegangen, besonders in Bezug auf Allergien, Überempfindlichkeiten auf Medikamente und frühere Narkosen. Während er im Rahmen einer flüchtigen körperlichen Untersuchung Ashleys Brustkorb abhörte und mit dem Daumen beklopfte, legte er ihm auch noch eine Infusion. Das geschah mit einer solch erfahrenen Leichtigkeit, dass Ashley fast nichts spürte. Sobald die Flüssigkeit zu Dr. Newhouses Zufriedenheit lief, berichtete er Ashley, dass er ihm nun einen starken intravenösen Beruhigungscocktail verabreichte, der ihn ruhig, zufrieden, vielleicht ein wenig euphorisch und mit Sicherheit schläfrig werden lasse.
»Je schneller, je besser«, hatte Ashley innerlich gerufen. Er wollte endlich ruhiger werden. Seine Angst vor dem bevorstehenden Eingriff hatte ihn in der letzten Nacht kaum schlafen lassen. Und außerdem war es ganz abgesehen von dem psychischen Stress auch kein einfacher Morgen gewesen. Er hatte Daniels Rat befolgt und seine Parkinson-Medikamente nicht genommen. Die Folgen waren schwer wiegender gewesen als erwartet. Er hatte nicht gewusst, wie stark die Mittel seine Symptome tatsächlich unterdrückt hatten. Es war ihm zum Beispiel nicht gelungen, seine Finger ruhig zu halten. Sie hatten sich ständig im Takt bewegt, als wollten sie Gegenstände in seinen Handflächen hin-und herrollen. Noch schlimmer aber war die Steifheit. Es war ein Gefühl, als steckte er bis zum Hals in Gelatine und würde versuchen, sich zu bewegen. Carol hatte einen Rollstuhl besorgen müssen, um ihn nach unten zu der wartenden Limousine zu schaffen, und zwei Portiers hatten sich abgemüht, um ihn vom Rollstuhl ins Auto zu setzen. Die Ankunft in der Wingate Clinic hatte sich ähnlich schwierig gestaltet und war mit denselben Demütigungen verbunden gewesen. Das einzig Gute an der ganzen Qual war, dass ihn dank seiner Touristenverkleidung anscheinend wirklich niemand erkannt hatte.
Dr. Newhouses intravenöser Cocktail hielt alles, was er versprochen hatte, und noch ein bisschen mehr. Im Augenblick fühlte
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