Die Operation
dreizehnten Jahrhundert vorausgesehen hätte.«
»Da gebe ich dir Recht!« Daniel schüttelte verwundert den Kopf.
»Eines will ich noch hinzufügen«, sagte Stephanie. »Einige Biologen - Pollenspezialisten - haben festgestellt, dass an dem Grabtuch Pollen kleben, die nur in Israel und der Türkei vorkommen. Der vermeintliche Fälscher wäre also ebenso findig wie gerissen gewesen.«
»Aber wie kann die C-14-Datierung zu solch falschen Ergebnissen fuhren?«
»Eine interessante Frage«, erwiderte Stephanie und schob sich den nächsten Bissen in den Mund. Sie kaute hastig. »Das weiß niemand so genau. Man hat vermutet, dass altertümliches Leinen das Wachstum bestimmter Bakterienstämme fördert, die einen transparenten, lackähnlichen Biofilm darauf hinterlassen, der die Ergebnisse verfälscht. Anscheinend hat es bei der Datierung von Leinentüchern von ägyptischen Mumien, die mit anderen Methoden bereits relativ sicher datiert waren, ähnliche Probleme gegeben. Ein russischer Wissenschaftler nimmt an, dass das Feuer, das das Grabtuch im sechzehnten Jahrhundert angesengt hat, die Ergebnisse verzerrt haben könnte, obwohl mir das angesichts einer Spanne von über tausend Jahren sehr zweifelhaft erscheint.«
»Was ist denn mit dem historischen Aspekt?«, fragte Daniel. »Wenn das Grabtuch wirklich echt sein sollte, wieso ist es dann erst im dreizehnten Jahrhundert aufgetaucht, und warum in Frankreich?«
»Schon wieder eine gute Frage«, sagte Stephanie. »Als ich mit meiner Lektüre angefangen habe, habe ich mich in erster Linie auf die naturwissenschaftlichen Aspekte gestürzt. Mit den historischen Gesichtpunkten habe ich gerade erst angefangen. Ian Wilson hat sehr geschickt einen Zusammenhang zwischen dem Grabtuch und einer anderen bekannten und verehrten byzantinischen Reliquie hergestellt, dem so genannten Edessa-Tuch, das sich dreihundert Jahre lang in Konstantinopel befunden hatte. Interessant ist, dass dieses Tuch bei der Eroberung der Stadt durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204 verschwunden ist.«
»Gibt es vielleicht Dokumente, die die Identität des Grabtuchs mit dem Edessa-Tuch beweisen?«
»Genau an der Stelle habe ich aufgehört zu lesen«, sagte Stephanie. »Aber eigentlich müsste es solche Beweise geben. Wilson zitiert einen französischen Augenzeugen, der die byzantinische Reliquie vor ihrem Verschwinden gesehen hat und der sie in seinen Memoiren als Grabtuch mit einem geheimnisvollen, vollständigen, beidseitigen Abdruck Jesu beschreibt. Ich finde, das klingt doch sehr stark nach dem Turiner Grabtuch. Falls diese beiden Reliquien wirklich identisch sein sollten, dann wären wir, historisch gesehen, mindestens im neunten Jahrhundert angelangt, vielleicht sogar noch früher.« »Jetzt kann ich wirklich verstehen, was dich daran so fesselt«, sagte Daniel. »Es ist faszinierend. Noch einmal zurück zur Naturwissenschaft: Wenn das Bild nicht aufgemalt wurde, wie erklärt man sich dann seinen Ursprung?«
»Diese Frage ist wahrscheinlich die faszinierendste überhaupt. Im Augenblick gibt es dafür nämlich keine Erklärung.«
»Ist das Grabtuch seit 1979 jemals wieder untersucht worden?«
»Sehr oft«, antwortete Stephanie.
»Aber es gibt derzeit keine Entstehungstheorie?«
»Keine, die weitergehenden Überprüfungen standgehalten hätte. Natürlich gibt es da immer noch die vage Vorstellung, dass vielleicht eine Art Lichtblitz oder eine merkwürdige Strahlung.« Stephanies Stimme verlor sich langsam, als wollte sie den Satz und damit auch den darin geäußerten Gedanken in der Luft hängen lassen.
»Moment mal!«, sagte Daniel. »Du willst mir doch jetzt nicht mit irgendwelchem göttlichen oder übernatürlichen Blödsinn kommen, oder?«
Stephanie breitete gleichzeitig die nach oben gestreckten Handflächen aus, zuckte mit den Schultern und lächelte.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, du spielst mit mir«, bemerkte Daniel kichernd.
»Ich gebe dir die Möglichkeit, eine Theorie zu äußern.«
»Ich?«, fragte Daniel.
Stephanie nickte.
»Aber ohne sämtliche verfügbaren Informationen kann ich keine Theorie entwickeln. Ich nehme doch an, dass die an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler mit Elektronenmikroskopen, Spektroskopie, ultravioletten Bestrahlungen sowie den üblichen chemischen Analysen gearbeitet haben.«
»Das und mehr«, sagte Stephanie. Sie lehnte sich mit provozierendem Lächeln zurück. »Und trotzdem gibt es nach wie vor keine allgemein anerkannte Theorie über die
Weitere Kostenlose Bücher