Die Operation
als gespannt«, gestand er. »Was hat es mit diesem merkwürdigen Tuch auf sich?«
»Am Anfang war ich noch fest davon überzeugt, dass das Grabtuch von drei unabhängigen Labors mit Hilfe der C-14-Methode auf das dreizehnte Jahrhundert datiert worden war, also auf die Zeit, in der es plötzlich in den Geschichtsbüchern auftaucht. Da ich weiß, wie präzise die C-14-Methode ist, bin ich davon ausgegangen, dass meine Überzeugung, es würde sich bei dem Grabtuch um eine Fälschung handeln, nicht ernsthaft in Frage gestellt würde. Aber genau das ist geschehen, fast von Anfang an, und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn das Grabtuch wirklich im 13. Jahrhundert hergestellt worden wäre, dann hätte der Fälscher eine Genialität besessen, die Leonardo da Vinci um Längen geschlagen hätte.«
»Das musst du mir genauer erklären«, sagte Daniel zwischen zwei Bissen. Stephanie hatte ihren Vortrag unterbrochen, um selbst zu essen anzufangen.
»Zunächst einmal ein paar schwächere Begründungen, warum der Fälscher übermenschliche Fähigkeiten besessen haben müsste. Die wirklich schlagenden Beweise kommen später. Erstens hätte der Fälscher die perspektivische Malerei beherrschen müssen, die aber erst später entwickelt wurde. Der Abdruck auf dem Grabtuch zeigt einen Mann mit gebeugten Knien und nach vorne gebeugtem Kopf, vermutlich in der Totenstarre.«
»Tja, da muss ich dir Recht geben, das klingt nicht besonders überzeugend.«
»Wie wär’s denn damit: Der Fälscher hätte die Kreuzigungsmethode der alten Römer kennen müssen. Sie steht nämlich im Widerspruch zu sämtlichen Darstellungen der Kreuzigung aus dem dreizehnten Jahrhundert, und davon gibt es buchstäblich Hunderttausende. In Wirklichkeit wurden nämlich die Handgelenke des Verurteilten an den Querbalken genagelt und nicht die Handflächen. Die hätten das Gewicht gar nicht halten können. Außerdem war die Dornenkrone nicht ringförmig, sondern sah eher aus wie eine Art Scheitelkappe.«
Daniel nickte ein paar Mal gedankenverloren.
»Oder das hier: An den Stellen, wo sich Blutflecken befinden, sind auf dem Tuch keinerlei Abdrücke des Körpers zu erkennen. Das würde bedeuten, dass unser schlauer Künstler zuerst die Blutflecken gemalt hat und anschließend die Gestalt, also genau andersherum, als jeder Künstler der Welt es machen würde. Normalerweise würde man doch zuerst das Bild malen, oder zumindest die Umrisse, und erst anschließend die Details wie zum Beispiel Blutflecken hinzufügen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich an der richtigen Stelle sitzen.«
»Das ist interessant, aber das gehört in die gleiche Kategorie wie das mit der perspektivischen Malerei.«
»Dann auf zum nächsten Punkt«, sagte Stephanie. »1979 wurde das Grabtuch fünf Tage lang von Wissenschaftlern aus den USA, Italien und der Schweiz untersucht. Sie waren übereinstimmend der Meinung, dass das Bild nicht auf das Grabtuch aufgemalt war. Sie konnten keine Pinselstriche feststellen, aber dafür unendlich viele Abstufungen in der Farbdichte. Außerdem war das Bild ein reines Oberflächenphänomen, das nicht in den Stoff eingedrungen war, das heißt, bei seiner Entstehung kann keinerlei Flüssigkeit mit im Spiel gewesen sein. Die einzige Erklärung, die sie für die Entstehung dieses Abdrucks hatten, war eine Art Oxidationsprozess an der Oberfläche der Leinenfasern, als wären sie in sauerstoffhaltiger Umgebung einem heftigen Lichtblitz oder einer anderen starken elektromagnetischen Strahlung ausgesetzt gewesen. Aber das ist natürlich reine Spekulation.«
»Na gut«, meinte Daniel. »So langsam wird es wirklich überzeugend, das muss ich dir lassen.«
»Ich hab noch mehr«, sagte Stephanie. »Einige der US-Wissenschaftler, die 1979 das Grabtuch untersucht haben, waren von der NASA. Sie haben die neuesten Technologien zur Untersuchung herangezogen, darunter auch ein Gerät, das sich VP-8-Bild-Analysator nennt. Dieses analoge Gerät war entwickelt worden, um spezielle digitale Aufnahmen der Mond-und Marsoberfläche in dreidimensionale Bilder umwandeln zu können. Zur Überraschung aller Beteiligten war das auch mit dem Abdruck auf dem Grabtuch möglich. Das heißt, die Dichte des Bildes auf dem Grabtuch ist an jeder einzelnen Stelle direkt proportional zu dem Abstand, den das Tuch zu diesem gekreuzigten Menschen hatte, nachdem er darin eingehüllt worden war. Alles in allem müsste der Fälscher ein Teufelskerl gewesen sein, wenn er alles das im
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