Die Operation
Kirchenfürsten in Nordamerika, und zudem ein persönlicher Freund ihres Erzbischofs Kardinal Manfredi. Deshalb traten sie ihm mit besonderem Respekt gegenüber.
Michael setzte sich. Im Gegensatz zu den Monsignores trug er nur seinen üblichen schwarzen Anzug mit dem weißen Priesterkragen. Außerdem war er gertenschlank, während die anderen einen entschieden rundlicheren Eindruck machten. Mit seiner gebogenen Nase wirkte er rein äußerlich sehr viel italienischer als seine Gastgeber. Außerdem unterschied er sich durch sein rotes Haar von den beiden anderen, die grauhaarig waren.
Luigi berichtete noch einmal von seinem Telefonat mit Daniel, wobei er betonte, dass es sich um zwei Personen handelte und dass eine davon eine Frau war.
»Das überrascht mich«, meinte Michael, »und für Überraschungen habe ich nicht viel übrig. Aber so ist das Leben. Ich gehe davon aus, dass die Probe bereitliegt?«
»Ja«, sagte Luigi. Michael zuliebe redete er englisch, obwohl Michael auch recht passabel Italienisch konnte. Er hatte nach dem Examen in Rom noch ein theologisches Zusatzstudium absolviert und dafür waren italienische Sprachkenntnisse Pflicht gewesen.
Luigi griff in die Tiefen seines Talars und brachte die schlanke silberne Schachtel zum Vorschein, die an ein Zigarettenetui aus der Mitte der Zwanzigerjahre erinnerte. »Hier«, sagte er. »Professor Ballasari hat die Fasern persönlich ausgewählt, damit alles seine Ordnung hat. Sie stammen definitiv von einer mit Blut befleckten Stelle.«
»Darf ich?«, fragte Michael. Er streckte seine Hand aus.
»Natürlich«, sagte Luigi. Er überreichte Michael die Schachtel.
Michael nahm die mit einem Relief verzierte Schachtel in beide Hände. Das war für ihn eine sehr emotionale Erfahrung. Er war schon lange von der Echtheit des Grabtuchs überzeugt, und das Gefühl, statt eines Kelchs mit umgewandeltem Wein ein Behältnis mit dem echten Blut seines Erlösers in Händen zu halten, war überwältigend.
Luigi nahm die Schachtel wieder an sich. Sie verschwand unter den ausladenden Falten seines Talars. »Gibt es noch irgendwelche besonderen Instruktionen?«, fragte er.
»Auf jeden Fall«, erwiderte Michael. »Sie müssen so viel wie möglich über die Leute herausfinden, denen Sie die Probe übergeben: Namen, Adressen, was es auch sei. Wissen Sie was? Verlangen Sie ihre Reisepässe und notieren Sie sich die Nummern. Mit diesen Informationen und Ihren Kontakten zu den Behörden müssten wir eigentlich eine Menge über sie in Erfahrung bringen können.«
»Wonach suchen Sie denn eigentlich?«, wollte Valerio wissen.
»Das weiß ich selbst nicht so genau«, gab Michael zu. »Seine Eminenz James Kardinal O’Rourke tauscht diese winzige Gewebeprobe gegen eine bedeutende Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für die Kirche ein. Zugleich möchte er aber hundertprozentig sichergehen, dass nicht gegen die Verfügung des Heiligen Vaters gegen jeden wissenschaftlichen Versuch mit dem Grabtuch verstoßen wird.«
Valerio nickte, als hätte er verstanden, aber das stimmte nicht. Dass man Teile einer Reliquie gegen politische Gefälligkeiten eintauschte, gehörte nicht zu seinem Erfahrungsschatz, schon gar nicht ohne offizielle Dokumente. Das war beängstigend. Zugleich wusste er aber auch, dass die wenigen Fasern in der silbernen Schachtel von einer Probe stammten, die schon vor vielen Jahren genommen worden war, und dass die Ruhe des Grabtuchs dafür nicht gestört worden war. Das wichtigste Anliegen des Heiligen Vaters war der Schutz des Grabtuchs.
Luigi stand auf. »Wenn ich rechtzeitig da sein soll, dann sollte ich jetzt besser gehen.«
Auch Michael erhob sich. »Wir gehen zusammen, falls es Ihnen nichts ausmacht. Ich beobachte die Übergabe aus der Ferne. Nach der Übergabe möchte ich diesen Leuten folgen. Ich will wissen, wo sie übernachten, für den Fall, dass ihre Identität uns Sorgen bereiten sollte.«
Valerio stand mit den anderen auf. Er wirkte etwas durcheinander. »Was haben Sie vor, wenn, nach Ihren Worten, ihre Identität uns Sorgen bereiten sollte?«
»Dann bin ich gezwungen zu improvisieren«, sagte Michael. »Für diesen Fall hat mir der Kardinal nur sehr vage Anweisungen mitgegeben.«
»Das ist eine ziemlich attraktive Stadt«, sagte Daniel, während er und Stephanie durch von palastähnlichen Residenzen gesäumte Straßen nach Westen gingen. »Anfangs war ich nicht sonderlich beeindruckt.«
»So ist es mir auch gegangen.«
Nach ein paar
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