Die Operation
jede Bewegung des Gaspedals.
Stephanie war schon öfter in Italien gewesen und hatte bestimmte Erwartungen mit Turin verbunden. Daher war sie zunächst enttäuscht. Die Stadt hatte nichts vom Charme des Mittelalters oder der Renaissance, den sie von Orten wie Florenz oder Siena her kannte. Stattdessen machte sie den Anschein einer undefinierbaren, modernen Stadt, umgeben von lang gestreckten Vororten, die sich momentan fest in der Hand des allmorgendlichen Berufsverkehrs befand. Alle italienischen Autofahrer kamen ihr gleichermaßen aggressiv vor, ständig wurde gehupt, wild beschleunigt und ebenso wild wieder abgebremst. Es war eine nervenaufreibende Fahrt, besonders für Daniel. Stephanie versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Daniel war zu beschäftigt damit, aus dem Fenster zu starren und auf den nächsten Beinahe-Zusammenstoß zu warten.
Daniel hatte eine Übernachtung im Grand Belvedere gebucht, laut Reiseführer das beste Hotel der Stadt. Es befand sich im Zentrum der Altstadt, und als sie in dieses Viertel kamen, begann sich Stephanies Eindruck von Turin zu wandeln. Immer noch gab es nicht die erwartete Architektur zu sehen, aber zumindest hatte die Stadt mit ihren breiten Boulevards, den von Arkaden umgebenen Plätzen und den eleganten Barockgebäuden ihren eigenen, unverwechselbaren Charme. Als das Taxi schließlich vor dem Hotel anhielt, da war aus Stephanies Enttäuschung eine, wenn auch gedämpfte, Anerkennung geworden.
Das Grand Belvedere bildete den Höhepunkt des luxuriösen Stils des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Noch nie hatte Stephanie mehr vergoldete Putten und Engelsfiguren auf einem Fleck gesehen als in dieser Hotellobby. Hoch aufragende Marmorsäulen dienten als Stützen für Torbögen, während beleuchtete Pilaster die Wände schmückten. Livrierte Portiers brachten eilig ihr Gepäck herein, das ziemlich umfangreich geworden war, da sie für ihren vierwöchigen Aufenthalt auf den Bahamas gepackt hatten.
Von der hohen Decke ihres Zimmers hing ein gewaltiger Muranokronleuchter. Der Raum war zwar nicht so aufwändig verziert wie die Eingangshalle, aber trotzdem genauso überladen. In allen vier Ecken des mächtigen Mauersimses schwebten vergoldete Engel. Durch die hohen Fenster sah man direkt hinunter auf die an das Hotel angrenzende Piazza Carlo Alberto. Schwere, dunkelrote Brokatvorhänge mit Hunderten von Quasten hingen vor den Fenstern. Die Möbel einschließlich des Bettes bestanden aus dunklem Holz und waren über und über mit Schnitzereien versehen. Auf dem Fußboden lag ein dicker Orientteppich.
Nach einem Trinkgeld für den Pagen und den mit einem Smoking bekleideten Portier, der sie auf ihr Zimmer begleitet hatte, sah Daniel sich mit zufriedener Miene um. »Nicht schlecht! Wirklich nicht schlecht«, sagte er. Er warf noch einen Blick in das marmorne Badezimmer und sagte dann zu Stephanie: »Endlich lebe ich so, wie ich es schon die ganze Zeit verdient habe.«
»Du bist wirklich unmöglich«, spottete Stephanie. Sie machte ihre Tasche auf, um ihren Kulturbeutel herauszuholen.
»Ach, tatsächlich!« Daniel lachte. »Ich verstehe gar nicht, wieso ich mich so lange als armer Gelehrter durchs Leben geschlagen habe.«
»Los, an die Arbeit, König Midas! Wie kriegen wir die Nummer der Verwaltung der Erzdiözese raus, damit wir mit Monsignore Mansoni Kontakt aufnehmen können?« Stephanie ging ins Badezimmer. Sie musste sich unbedingt die Zähne putzen.
Daniel ging zum Schreibtisch und fing an, in den Schubladen nach einem Telefonbuch zu suchen. Als er damit keinen Erfolg hatte, schaute er in den Schränken nach.
»Ich glaube, wir sollten nach unten gehen und die Rezeption bitten, das für uns zu erledigen«, rief Stephanie aus dem Badezimmer. »Die sollen uns dann auch gleich eine Reservierung für das Abendessen machen.«
»Gute Idee«, meinte Daniel.
Stephanie hatte Recht gehabt. Der Portier war ihnen gerne behilflich. Nachdem er innerhalb von Sekunden ein Telefonbuch herbeigezaubert hatte, war er schon mit Monsignore Mansoni verbunden, noch bevor Stephanie und Daniel entschieden hatten, wer von ihnen beiden mit ihm sprechen sollte. Nach einem Augenblick der Verwirrung griff Daniel nach dem Hörer. Wie in Butlers E-Mail empfohlen, gab er sich als Repräsentant Ashley Butlers zu erkennen und sagte, dass er nach Turin gekommen sei, um eine Probe entgegenzunehmen. Deutlicher wollte er aus Gründen der Diskretion nicht werden.
»Ich habe Ihren Anruf bereits
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