Die Operation
Priestergewandes offene Türen und Anonymität zugleich gewährleistete.
Eine halbe Stunde später verließ das Paar den Speisesaal wieder. Michael musste lächeln. Eine halbe Stunde Zeit für das Mittagessen, das war so amerikanisch. Er wusste, dass die Italiener dazu mindestens zwei Stunden brauchten. Die Amerikaner hingegen bestiegen erneut den Fahrstuhl und fuhren einmal mehr in den vierten Stock.
Dieses Mal musste Michael erheblich länger warten. Er war mit der Zeitung fertig und sah sich nach etwas anderem zum Lesen um. Da er nichts fand und er andererseits auch keinen Gang zum Kiosk riskieren wollte, fing er an zu überlegen, was er tun würde, falls die Informationen, die er von Luigi zu bekommen hoffte, nicht seinen Erwartungen entsprachen. Er wusste ja nicht einmal, wie seine Erwartungen genau aussahen. Eigentlich ging er davon aus, dass zumindest einer der beiden in irgendeiner Form für Senator Butler arbeitete, oder vielleicht für eine Organisation, die Verbindungen zum Senator hatte. Er erinnerte sich genau an die Worte des Senators, er wolle einen Kundschafter schicken, der die Probe abholen sollte. Was genau er mit »Kundschafter« gemeint hatte, blieb abzuwarten.
Michael streckte sich und schaute auf seine Armbanduhr. Es ging jetzt auf fünfzehn Uhr zu, und sein Magen begann zu knurren. Bis auf ein kleines Stück Gebäck im Cafe Torino hatte er heute noch nichts gegessen. Während sein Gehirn ihn mit Bildern seiner Lieblingsgerichte ärgerte, vibrierte das Handy, das er in der Tasche stecken hatte. Den Klingelton hatte er absichtlich abgestellt. Er befürchtete schon, den Anruf nicht rechtzeitig entgegennehmen zu können, zog das Telefon aus der Tasche und drückte auf die Taste. Es war Luigi.
»Ich habe gerade eben den Bericht meiner Kontaktleute bei der Einreisebehörde bekommen«, sagte Luigi. »Ich fürchte, das, was ich erfahren habe, wird Ihnen nicht gefallen.«
»Oh!«, machte Michael. Er versuchte ruhig zu bleiben. Leider kamen die Amerikaner in diesem Augenblick aus dem Fahrstuhl. Sie hatten Mäntel an und Reiseführer in der Hand und planten offensichtlich einen Stadtbummel. Michael befürchtete schon, sie könnten vielleicht ein Taxi nehmen, was ihn wiederum in gewisse Schwierigkeiten gestürzt hätte. Hastig schlüpfte er in seinen Mantel und hielt die ganze Zeit über das Telefon ans Ohr gepresst. Die Amerikaner gingen schnell, wie schon vorhin. »Augenblick mal, Luigi!« Michael unterbrach den Monsignore. »Ich muss mich auf den Weg machen.« Michael hatte erst einen Arm in den Mantel gesteckt, sodass sich der andere Ärmel in der Drehtür verhedderte. Er musste ein Stück zurückgehen, um sich wieder zu befreien.
»Prego!«, sagte der Portier, der ihm zur Hand ging.
»Mi scusi«, erwiderte Michael. Als er sich aus der Tür befreit hatte, rannte er nach draußen. Zu seiner großen Erleichterung sah er die Amerikaner am Taxistand vorbeigehen und auf die nordwestliche Ecke des Platzes zusteuern. Er verfiel wieder in ein schnelles Gehtempo.
»Tut mir Leid, Luigi«, sagte Michael ins Telefon. »Die beiden haben genau in dem Augenblick das Hotel verlassen, als Sie angerufen haben. Was haben Sie gesagt?«
»Sie sind beide Naturwissenschaftler«, erwiderte Luigi.
Michael spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. »Das ist keine gute Nachricht!«
»Das habe ich mir auch gedacht. Anscheinend hatten die amerikanischen Behörden auf die Anfrage ihrer italienischen Kollegen sofort alle möglichen Informationen parat. Sie haben beide einen Doktortitel im Bereich der biomolekularen Forschung, wobei Daniel Lowell eher der Chemiker und Stephanie D’Agostino eher die Biologin ist. In ihren Fachgebieten sind sie anscheinend allgemein bekannt, er noch mehr als sie. Da sie beide dieselbe Adresse angegeben haben, leben sie offensichtlich zusammen.«
»Du meine Güte!«, bemerkte Michael.
»Das klingt jedenfalls nicht danach, als wären sie einfach normale Kuriere.«
»Schlimmer hätte es nicht kommen können.«
»Das sehe ich auch so. Bei diesem Hintergrund liegt es nahe, dass sie irgendeine Art von Versuch planen. Was wollen Sie unternehmen?«
»Ich weiß es noch nicht«, sagte Michael. »Ich muss nachdenken.«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn ich Ihnen helfen kann!«
»Ich melde mich«, sagte Michael und beendete das Gespräch.
Zwar hatte er gegenüber Luigi gerade eben noch behauptet, er wüsste nicht, was er unternehmen wollte, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er
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