Die Operation
Straßenzügen erreichten sie die Piazza San Carlo. Der Blick weitete sich und sie sahen einen Platz von der Größe eines Fußballfeldes, der von hübschen, cremefarbenen Barockhäusern gesäumt war. Die Fassaden waren mit dekorativen Ornamenten geschmückt. In der Mitte des Platzes befand sich eine imposante bronzene Reiterstatue. Das Cafe Torino lag etwa in der Mitte der Westseite. Nachdem sie das Lokal betreten hatten, umhüllte sie der Duft von frisch gemahlenem Kaffee. Eine ganze Reihe großer Kristalllüster hingen von der mit Fresken geschmückten Decke und tauchten das Innere in ein warmes, strahlend leuchtendes Licht.
Sie brauchten nicht lange nach Monsignore Mansoni zu suchen. Der Priester erhob sich im Augenblick ihres Eintretens und winkte sie an seinen Tisch an der hinteren Wand des Cafes. Auf dem Weg zu ihm betrachtete Stephanie die anderen Besucher. Monsignore Mansonis Bemerkung, dass im Cafe wohl nicht viele Priester anzutreffen seien, war zutreffend. Stephanie entdeckte nur noch einen anderen. Er saß alleine an einem Tisch, und einen kurzen Augenblick lang hatte Stephanie das unangenehme Gefühl, dass er ihr direkt in die Augen schaute.
»Willkommen in Turin«, sagte Luigi. Er schüttelte seinen beiden Gästen die Hand und bot ihnen einen Platz an. Sein Blick blieb so lange auf Stephanie ruhen, bis sie sich etwas unwohl fühlte, da ihr Daniels unangemessene Beschreibung wieder einfiel.
Der Monsignore schnippte mit den Fingern, woraufhin ein Kellner an ihrem Tisch erschien und ihre Bestellungen aufnahm. Daniel bestellte noch einen Espresso, während Stephanie sich mit Mineralwasser zufrieden gab.
Daniel betrachtete den Kleriker. Er hatte sich selbst ja als »beleibt« bezeichnet, was keine Untertreibung war. Der weiße Priesterkragen verschwand fast völlig unter einem massigen Doppelkinn. Als Mediziner fragte er sich, wie wohl die Cholesterinwerte des Gottesmannes aussehen mochten.
»Ich nehme an, wir sollten uns zunächst einmal vorstellen. Ich bin Luigi Mansoni. Ich stamme aus Verona, aber jetzt lebe ich hier in Turin.«
Daniel und Stephanie stellten sich ebenfalls mit richtigem Namen vor und sagten, sie lebten in Cambridge, Massachusetts. Dann kamen der Kaffee und das Mineralwasser.
Daniel trank einen Schluck und stellte die Tasse auf die winzige Untertasse zurück. »Ich möchte nicht unhöflich wirken, aber ich würde jetzt gerne zum Geschäft kommen. Ich nehme an, Sie haben die Probe dabei?«
»Natürlich«, erwiderte Luigi.
»Wir müssen sicher sein, dass die Fasern von einer Stelle mit einem Blutfleck stammen«, fuhr Daniel fort.
»Ich kann Ihnen versichern, dass dem so ist. Der Professor, der vom momentanen Wächter des Tuches, Erzbischof Kardinal Manfredi, mit der Verantwortung für den Erhalt des Tuches betraut worden ist, hat sie selbst ausgesucht.«
»Und nun?«, fragte Daniel weiter. »Können wir sie haben?«
»Einen Augenblick, bitte«, sagte Luigi. Er griff in seinen Talar und holte einen kleinen Block und einen Stift hervor.
»Ich habe Anweisung, Ihre Personalien aufzunehmen, bevor ich die Probe übergebe. Bei all den Kontroversen und dem Medienzirkus um das Grabtuch besteht die Kirche darauf, die Namen all derjenigen zu kennen, die im Besitz einer Textilprobe sind.«
»Der Empfänger ist Senator Ashley Butler«, sagte Daniel.
»Das habe ich verstanden. Aber bis dahin benötigen wir Ihre Personalien. Es tut mir Leid, aber so lauten meine Instruktionen.«
Daniel schaute Stephanie an. Stephanie zuckte mit den Schultern. »Was möchten Sie denn wissen?«
»Ihre Reisepässe und Ihre momentane Anschrift würden genügen.«
»Damit habe ich keine Schwierigkeiten«, sagte Stephanie. »Die Adresse im Pass stimmt immer noch.«
»Ich schätze, ich habe damit auch keine Schwierigkeiten«, sagte Daniel.
Die beiden Amerikaner holten ihre Papiere hervor und ließen sie über den Tisch gleiten. Luigi schlug die Pässe auf und schrieb das ab, was er brauchte. Dann schob er sie zurück. Nachdem er Block und Stift eingesteckt hatte, holte er die silberne Schachtel hervor. Mit deutlich erkennbarer Ehrfurcht schob er sie Daniel zu.
»Darf ich?«, fragte dieser.
»Natürlich«, antwortete Luigi.
Daniel griff nach der Schachtel. An der Seite befand sich ein Häkchen, das er nun zur Seite schob. Vorsichtig hob er den Deckel. Stephanie beugte sich zur Seite, um ihm über die Schulter sehen zu können. In der Schachtel lag ein kleiner, verschlossener, halb durchsichtiger
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