Die Opfer des Inzests
kirchlichen Pensionats in Limoges zurückließ. Bis dahin hatte mein
Großvater sich um sie gekümmert. Aber es war 39/40, und es war Krieg. Er
gehörte der Résistance an und war gerade von der Gestapo verhaftet worden.
Nachdem er fort war, zweifellos exekutiert, wollte meine Großmutter, von der
man mir erzählt hat, sie habe einen lockeren Lebenswandel gehabt, sich nicht
mit den Kindern belasten.
Das Pensionat nahm meine Tante und
meine Mutter auf, die fortan wie Waisen aufwuchsen. Glücklicherweise brachte
ihnen Schwester Jeanne, die Mutter Oberin, sehr viel Liebe entgegen.
Meine Tante war sehr ernsthaft, meine
Mutter eher rebellisch. Als sie volljährig wurden, verließen sie das Pensionat
und bezogen gemeinsam eine kleine Wohnung. Martine arbeitete hart, um
Buchhalterin zu werden. Meine Mutter ging lieber aus und amüsierte sich. Sie
lernte Paul kennen, der mein Vater werden würde. Er war 18 und leistete gerade
seinen Militärdienst. Liebe auf den ersten Blick! Zumindest glaubten sie das...
sie hatten beide ein solches Bedürfnis nach einer Familie.
Mein Vater stammte aus Dünkirchen. Nach
der Scheidung seiner Eltern hatte er in verschiedenen Pflegefamilien gelebt. Mit
14 arbeitete er bereits auf einem Bauernhof. Er war ein unruhiger Geist. Sobald
wie möglich trat er in die Armee ein. Ziel: Limoges.
Als sie Paul kennenlernte, spürte meine
Tante seine Labilität und warnte meine Mutter.
Auch Schwester Jeanne zeigte sich besorgt,
als sie erfuhr, daß Paul und Annette beschlossen hatten, zusammenzuziehen. Sie
fand sie zu jung, zu unreif. Aber meine Mutter und mein Vater heirateten und
zogen in ein kleines Dorf im Norden, Fourmies, wo mein Vater eine Anstellung
als Totengräber fand.
Einige Monate später kam Julien, mein
ältester Bruder, auf die Welt. Kein Jahr später folgte Sophie. Aber es lief
nicht mehr so, wie es sollte. Mein Vater ließ sich kaum noch zu Hause blicken.
Er zog es vor, in Kneipen herumzuhängen und sein Gehalt mit seinen Kumpels zu
versaufen. Für meine Mutter war die Enttäuschung groß. Zumal sie ihr drittes
Kind erwartete: mich. Sie ernährte die Familie, so gut es ging, erledigte den
Haushalt, kümmerte sich um alles. Als ich auf die Welt kam, war die Ehe meiner
Eltern nur noch ein Scherbenhaufen.
Julien half Mama, so gut er konnte.
Sehr früh schon übernahm er Pflichten und Verantwortung eines Erwachsenen.
Mein Vater schlief häufig außer Haus.
Wenn er heim kam, weckte er mit seinem betrunkenen Gebrüll das ganze Haus. Oft
ließ er seine schlechte Laune an uns, den Kindern, aus. Mama ging dazwischen
und nahm die Schläge auf sich. Das Gesicht voller Blutergüsse, traute sie sich
tagelang nicht aus dem Haus. Die ganze Familie lebte in Angst. Und doch brachte
meine Mutter noch ein weiteres Kind zur Welt: meinen kleinen Bruder Raphael.
Auch er sollte ein Opfer meines Vaters werden.
Einige Zeit bat meine Mutter, ob aus
Scham oder Stolz, weder Schwester Jeanne noch Martine um Hilfe. Unsere Tante
beendete ihre Studien, bekam ihre Diplome und heiratete einen Mann, mit dem sie
zwei Kinder bekam. Sie lebt heute noch in einer hübschen Villa in der Nähe von
Limoges. Sie ist glücklich mit ihrer Familie.
Eines Tages hielt meine Mutter es nicht
mehr aus. Sie alarmierte Schwester Jeanne, die in einer Gemeinde bei Dax lebte.
Schwester Jeanne nahm kein Blatt vor den Mund und sagte:
›Verlaß deinen Mann und reich die
Scheidung ein. Komm mit den Kindern zu uns, wir schaffen das schon irgendwie.‹
Mama gehorchte. Wir zogen in ein Haus
gegenüber dem Kloster. Es war das Paradies. Aber wir Kinder begriffen nicht.
Unser Vater hatte uns nur gequält, und doch verlangten wir nach ihm...
Eines Abends klingelte es an der Tür.
Ich frage mich noch heute, wie unser Leben verlaufen wäre, wenn er uns nicht gefunden
hätte.
Er wollte herein, reden. Er versprach,
sich zu ändern. Schwester Jeanne war zum Abendessen bei uns. Sie warnte Mama
vor Papas schönen Versprechungen. Aber wir Kinder weinten und schrien:
›Wir wollen Papa sehen! Wir wollen ihn
sehen!‹
Mama gab nach. Sie fiel ihrem Mann in
die Arme, der ihr seine Liebe schwor. Er hatte gerade unter, wie ich glaube
fragwürdigen Umständen seinen Job verloren.
Wir lebten also wieder alle zusammen.
Szenen und Gewaltausbrüche ließen nicht lange auf sich warten. Mein Vater fand
Arbeit als Maurer. Er trank immer mehr. Mutters Gesundheit war angeschlagen:
Venenentzündungen, Lungenembolie. Sie konnte uns nicht mehr vor Vaters
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