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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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immer ein Bach durch den Garten, aber es war eine dickliche braune Flüssigkeit, die nach Abwasser stank. Wir versuchten, den Bach mit einem Sprung zu überwinden, doch Miller rutschte am gegenüberliegenden Ufer aus und trat mit einem Fuß bis zur Oberkante seiner Socke in die Flüssigkeit.
    »Oh Scheiße«, fluchte er, während er den Fuß schüttelte.
    »Damit könnten Sie Recht haben«, bemerkte ich.
    Wir erklommen den Hügel, der zur Friedhofsmauer führte. Die Erde unter unseren Füßen zitterte, als fahre eine unendlich lange U-Bahn unter uns hindurch. Hinter der Kapellenwand zuckten grelle Lichtblitze auf. Ich hörte panische Schreie und ein schreckliches Stöhnen ... und noch etwas anderes: Die unverkennbare Stimme des jungen Mr. Billings, der in einer Sprache eine haarsträubende Beschwörung rezitierte, von der ich nicht einmal hoffte, sie aussprechen zu können. Davon, sie zu verstehen, völlig abgesehen. Es klang nach keiner menschlichen Sprache, die ich jemals gehört hatte. Es war mehr wie das Zwitschern riesiger Insekten, vermischt mit den Unterwasserlauten von Delphinen. Tekeli-li! Tekeli-li!
    Miller und ich eilten gebückt zwischen dem Unkraut des Friedhofs hindurch, dessen Grabsteine inzwischen fast alle umgestürzt, zerbrochen und zerfressen waren, nachdem sie jahrelang in saurem Regen gestanden hatten. Ein aus Stein gehauener Engel wies statt prachtvoller Flügel nur noch missgestaltete Stümpfe auf, und sein Gesicht hatte sich so weit aufgelöst, dass es eher einem Affen mit flacher Stirn glich.
    Wir erreichten die Tür der Kapelle. Diesmal würde es viel einfacher als noch 1992 sein, in das zerfallene Gebäude zu gelangen, da ein Großteil der Holzbohlen längst verrottet war.
    »Wie sieht Ihr Plan aus?«, fragte Miller.
    »Was?«
    »Ich meine, was wollen Sie machen, wenn Sie hineingegangen sind?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich werde mir Danny schnappen und loslaufen. Was soll ich sonst machen?«
    »Sie brauchen irgendeine Ablenkung. Sonst werden Sie nicht mal fünf Meter zurücklegen können.«
    Ich überlegte. »Ich schätze, Sie haben Recht. Was schlagen Sie vor?«
    »Zunächst mal sollten wir herausfinden, ob sich da drin drei oder dreihundert Leute aufhalten.«
    Er sah zu dem Fenster, durch das ich zum ersten Mal den jungen Mr. Billings über den Rasen hatte eilen sehen. »Kommen Sie«, sagte Miller und ging zwischen den Grabsteinen vor mir her, bis wir das Fenster erreicht hatten.
    Im Inneren der Kapelle zuckten so grelle Blitze, dass ich eine Hand vor meine Augen legen musste, um nicht geblendet zu werden. Der Gesang des jungen Mr. Billings war heftiger und komplizierter geworden, bis er schließlich nahezu schrie. Ich richtete mich so weit auf, dass ich gerade über die mürbe Steinfensterbank spähen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass Miller das Gleiche machte.
    Keiner von uns sagte etwas, als wir ins Innere der Kapelle blickten. Miller verstand zwar nicht die Bedeutung dessen, was sich uns präsentierte, dennoch hatte er den Mund geöffnet und wirkte so, als weigere sich sein Verstand, das als wahr anzuerkennen, was seine Augen sahen.
    An der linken Wand der Kapelle hatte man sämtliches Efeu entfernt, wodurch nicht nur das Wandgemälde von Kezia Mason, sondern auch die Bildnisse zahlloser weiterer junger Frauen freigelegt worden waren. Nach der Mode der Kleidung auf den Malereien zu urteilen, stellten sie vermutlich sämtliche Frauen dar, die über Generationen hinweg als Wirt für das Hexen-Wesen gedient hatten. Alle hatten den gleichen Gesichtsausdruck und die gleiche Körperhaltung wie Kezia Mason, das gleiche Spöttische, Triumphierende. Und jede von ihnen hatte einen eigenen Brown Jenkin, mal auf der Schulter liegend, mal im Arm gehalten. Manche von ihnen sahen aus wie Katzen oder Echsen, andere wie eine Kreuzung aus Hund und Kröte.
    Dort, wo sich früher das Mittelschiff der Kapelle befunden hatte, waren jetzt drei riesige Pfannen. Sie sahen aus, als habe man sie aus alten Chemiefässern gefertigt, grobschlächtig mit Löchern versehen und mit Kohle und trockenem Holz gefüllt. Metallgitter waren über diese Pfannen gelegt worden, auf denen gut zehn große Fleischstücke geröstet wurden. Ich hielt sie zunächst für Spanferkel, doch als sich der Rauch für einen Moment verzog, konnte ich ein Gesicht ausmachen.
    Das waren keine Spanferkel, das waren Kinder! Die abgeschlachteten Waisen des Fortyfoot House. Einigen waren Arme und Beine abgehackt worden, andere

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