Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
im Mausoleum war sie in Sicherheit. Hier gab es nur sie und die Toten. Silwyna vergaß Schnee und Eis und dachte an ihre lange Reise, um den Schmerz der Heilung zu verdrängen.
Gishild war von einer ganzen Flotte in Paulsburg abgeholt worden. Doch dann verlor sich ihre Spur. Es war nur eine kurze Reise von Paulsburg nach Vilussa, doch die Schiffe waren dort niemals angekommen, obwohl gutes Segelwetter geherrscht hatte und es in dieser Zeit keinen Sturm gegeben hatte.
Welches geheime Ziel die Flotte angesteuert hatte, vermochte Silwyna lange nicht herauszufinden. Sie waren einfach verschwunden. Schließlich war der Erzverweser auf dem Landweg nach Vilussa zurückgekehrt. Doch an ihn vermochte sie nicht heranzukommen. Über Umwege und aus dritter Hand hatte sie erfahren, dass die Ritter vom Aschenbaum ihm geholfen hatten, ein entführtes Mädchen zu befreien. Und es hieß, sie sei samt den Galeeren nach Marcilla
geschickt worden, um von dort nach Aniscans gebracht zu werden.
Daraufhin hatte Silwyna sich auf die lange Reise in die Hauptstadt des Feindes gemacht. In Aniscans hörte sie von einer Kutsche mit verhängten Fenstern, eskortiert von Rittern des Aschenbaums und des Blutbaums. Es gab nur Gerüchte, wer in dem königlichen Gefährt ins Herz der Stadt gebracht worden war, dorthin, wo die Kirchenfürsten hinter hohen Mauern ihre Paläste hatten. Dorthin, wo der Aschenbaum stand, an dem einst der heilige Guillaume gestorben war.
Normale Sterbliche durften die innere Stadt nur an hohen Festtagen betreten. Und auch dann wachten die Ritter vom Aschenbaum und auserwählte Soldaten über jeden ihrer Schritte. Was in der inneren Stadt geschah, war den Bürgern von Aniscans ein Mysterium. Nur Gerüchte drangen durch die goldenen Pforten der vierzig Fuß hohen Marmormauern. Drei Wochen hatte Silwyna gebraucht, um zu erfahren, dass angeblich ein Heidenmädchen auf dem Totenturm beigesetzt worden war. In aller Heimlichkeit war ihre Leiche dort hinaufgeschafft worden, so hieß es. Sie hatte das von einem nach Rosenwasser stinkenden Seifensieder erzählt bekommen, dessen Bruder angeblich Priester und Steinmetz in der inneren Stadt war und manchmal herauskam, um seine Familie zu besuchen. Silwyna hatte den Verdacht gehabt, dass der Mann alles erzählt hätte, um sie noch einmal besteigen zu dürfen. Das war die einzige Spur. Eine Geschichte, die nicht stimmen konnte.
Aber die Elfe wusste nicht, wo sie sonst suchen sollte. Sie musste Gewissheit haben. Die Mauer, die die innere Stadt umschloss, war sieben Meilen lang. Es gab dort Dutzende Tempeltürme und Paläste. Hunderte von Häusern, in denen Priesterhandwerker lebten. Es war eine Stadt in der Stadt.
Und hier konnte Silwyna sich nicht bewegen, ohne aufzufallen. Als Hure konnte sie nicht gehen. Und die Priesterinnen verhüllten ihre Häupter nicht. Hätte Silwyna versucht, sich als eine von ihnen auszugeben, hätten ihre spitzen Elfenohren sie verraten. Als Mirella trug sie ein breites Haarband aus buntem Stoff, um ihre Ohren zu verbergen. Sie küsste ihre Freier, schenkte ihren Körper für ein paar Münzen, doch dieses Haarband durfte niemand berühren. Wer diese eiserne Regel brach, den jagte sie davon.
Die Elfe betrachtete ihre Hände. Die Wunden hatten sich geschlossen. Sie erhob sich und betrachtete die Sarkophage. Ganz gleich wie unsicher diese einzige Spur war, Silwyna brauchte Gewissheit.
Sie hatte Gishilds Haar gefunden, in einer Müllgrube bei Paulsburg. Am Geruch hatte sie es zweifelsfrei erkannt. Ihre Elfenbrüder, die in Städten und Palästen lebten, verspotteten die Maurawani oft für ihre Fähigkeiten. Wie Wölfe vermochten sie einer Schweißspur zu folgen. Wer in der Wildnis lebte, der musste alle seine Sinne zu nutzen wissen! Nach Blut hatte es gerochen, ihr Haar. Was hatten die Ritter Gishild nur angetan?
Silwyna ging von Sarg zu Sarg. Namen waren in den weißen Stein gegraben. Namen aus allen Provinzen. Wer Tjured folgte, den hieß die Kirche willkommen, ganz gleich, wo er geboren sein mochte. So viele Namen! Doch Gishilds Name fand sich nicht.
In der Mitte der Totenkammer klaffte eine halbmondförmige Öffnung im Boden. Eine Wendeltreppe führte tiefer in den Turm hinein. Weihrauchduft stieg durch den Treppenschacht empor. Auf jeder Stufe stand ein Licht, geschützt von orangefarbenem Glas.
Obwohl Silwyna weder an den Einen Gott noch an sonst
irgendeinen Gott glaubte, konnte sie sich der beklemmenden Feierlichkeit dieses Ortes nicht ganz
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