Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Überlegenheit auszuspielen. Er würde sich und Michelle beschämen, wenn er Bernadette zu sehr verdrosch. Obwohl diese Göre eine kleine Abreibung gebrauchen konnte.
»Träum nicht herum!«, ermahnte ihn Drustan.
Alle waren inzwischen aus der Grube gestiegen. Sie klopften sich den Staub aus den Kleidern und marschierten in Zweierreihen in Richtung der Schlammgrube. Vierzehn Löwen waren sie. Vierzehn zukünftige Ritter!
Geschlossen nahmen sie auf einer der seltsamen Stufen Platz, welche die Schlammgrube einrahmten. Hunderte von Schülern trafen ein. Mit den Lanzen der älteren Jahrgänge hatten sie nur wenig zu tun. Die älteren Novizen waren höflich, wenn sie ihnen gelegentlich begegneten. Aber es war jene Art von Höflichkeit, die eine unüberbrückbare Distanz schaffte.
Neugierig betrachtete Luc die älteren Schüler. Es war ein Blick in die Zukunft. So wie sie würde er auch einmal sein, wenn er durchhielt. Sie waren körperlich geschult und bewegten sich mit der selbstbewussten Lässigkeit von Kriegern. Wind und Wetter hatte ihre Gesichter gezeichnet. Manche hatten schon Narben. Die höheren Jahrgänge übten angeblich mit scharfen Waffen. Sie sahen gut aus. Er konnte niemanden unter ihnen entdecken, der hässlich war. Keinen mit schiefer Nase oder sonst wie missgestalteten Körperteilen. Ob das Aussehen eine Rolle spielte, wenn man als Novize erwählt wurde? Luc sah zweifelnd an sich herab. Er war zu hager, fand er. Er war nicht schwach, aber seinen Armen sah man das nicht an. Und ob er hübsch war, konnte er nicht sagen. Nun, hässlich war er wohl auch nicht …
»Ist hier noch Platz?«, schreckte ihn eine vertraute Stimme aus seinen Gedanken.
Michelle! Er hatte sie nicht mehr zu sehen bekommen, seit er mit den anderen Novizen in die Baracke eingezogen war.
»Sicher, hier ist frei!«
Die Ritterin blickte zu Drustan.
»Stört es dich, wenn ich bei deiner Lanze sitze?«
»Vermisst du deinen Jungen?«, entgegnete der Magister mit süffisantem Lächeln. Einige der Novizen kicherten.
Michelle hielt dem stechenden Blick Drustans stand.
»Er war mir eine bessere Gesellschaft als mancher Ritter.«
»Das hört man wohl. Es heißt, du hast dich von deiner Lanze getrennt und sogar auf einen deiner Brüder geschossen, der schwer verwundet und wehrlos war.«
Luc sah, wie Michelles Augen ein wenig schmaler wurden.
»Tja, es gibt vielerlei Ritter. Manche trennen sich von ihrer Lanze, weil sie glauben, dass ihre Brüder und Schwestern
den Pfad unseres Ordens verlassen haben. Andere trennen sich von ihrem Arm, weil selbst sieben Jahre Fechtunterricht sie nicht zu einem Kämpfer gemacht haben, der sich auf dem Schlachtfeld zu wehren weiß. Ich stehe zu dem, was ich bin! Wie sieht es bei dir aus, Bruder?«
Drustan war kreideweiß geworden. Seine Augen funkelten vor Zorn.
»Ich fühle mich nicht berufen, mit dir vor Novizen zu streiten. Doch hüte dich, vor meiner Lanze noch einmal falsches Zeugnis von mir abzulegen. Das nächste Mal bringe ich dich vor das Ehrengericht des Ordens!«
Michelle strich sich eine Strähne ihres langen Haars aus dem Gesicht.
»Der Duellplatz derjenigen, die es nicht wagen, einander auf einer Lichtung im Morgengrauen zu begegnen.«
»Du irrst, Fechtmeisterin. Das ist der Duellplatz derjenigen, die nicht befürchten müssen, als Großmäuler und Aufschneider entlarvt zu werden.«
Plötzlich lachte die Ritterin.
»Aufschneider! Das war gut! Eine Fechtmeisterin Aufschneider nennen. Du hast ja Humor.«
Luc kannte Michelle gut genug, um zu wissen, dass ihr Lachen von Herzen kam und kein beißender Spott sein sollte. Doch Drustan sah das nicht.
»Du hast von mir die Erlaubnis, dich zu entfernen, Fechtmeisterin. Du wirst meiner Lanze in deinen Unterrichtsstunden gegenüberstehen. Sonst halte dich von ihr fern!«
Er sah Luc an.
»Und du hast die Wahl, ob du deinen ersten Buhurt bei deinen Brüdern und Schwestern erleben möchtest oder bei einer Ausgestoßenen. Es steht dir frei, mit ihr zu gehen.«
Ohne zu zögern stand Luc auf. Mit Michelle hatte er fast
ein Jahr verbracht. Sie war seine Heldin, seine Lehrmeisterin. Und Drustan war nicht mehr als ein Schinder! Sollte er ruhig sehen, was er von ihm hielt, dachte sich Luc.
Michelle legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Es freut mich, dass du mit mir gekommen bist, aber eine kluge Entscheidung war das nicht«, sagte die Ritterin leise.
»Aber eine ehrliche!«, entgegnete Luc.
Sie blieb stehen und sah ihn an. So eindringlich …
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