Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Spitzel gibt!«, fuhr er Lilianne an.
Die Ritterin drehte sich zu ihm um. Es war vorbei mit der Maske der Überheblichkeit. Ganz offensichtlich fiel es ihr schwer, ihren Zorn im Zaum zu halten.
»Verlasst das Achterdeck!«, sagte sie leise.
Die jungen Offiziere und Ritter gingen, ohne Fragen zu stellen. Alvarez sah sie an. Lilianne schüttelte den Kopf.
»Wie kannst du lauthals nach einem Spitzel fragen?«, fuhr sie Charles an.
»Wie kannst du mir ein so bedeutendes Geheimnis verschweigen? «, entgegnete er wütend.
Der Spitzel musste zum Gefolge des Elfenfürsten oder zu den Vertrauten König Gunnars gehören. Wer sonst konnte solch ein Geheimnis kennen? Die Vorstellung, dass es jemanden gab, der an den Kartentischen der feindlichen Heerführer stand, der an ihrem Kriegsrat teilnahm und sein Herz ganz offensichtlich der Sache Tjureds geöffnet hatte, machte ihn trunken wie Wein. Sie hatten die Saat des Zweifels also bis zu den Fürsten der Heiden getragen. Dann würde ihr ehernes Bündnis bald zerbrechen.
»Wer ist es?«
»Glaubst du wirklich, ich würde dir einen Namen nennen? Dir, der du ein solches Geheimnis inmitten einer Runde von Männern ansprichst, die du nicht einmal kennst?«
»Es sind Ordensbrüder! Sie sind über jeden Zweifel erhaben. «
Lilianne lachte zynisch.
»Natürlich! Ich kenne sie. Und du hast recht, ihre Herzen gehören uns. Diesmal muss ich nicht fürchten, dass deine
unbeherrschte Zunge unserer Sache Schaden zugefügt hat. Doch wie wird es beim nächsten Mal sein, wenn du mit deinen neugierigen Fragen nicht an dich halten kannst? Wer steht dann neben dir? Wir haben einen der Ihren für uns gewonnen. Aber bist du dir sicher, dass unsere Feinde das nicht auch vermögen? Ich weiß, welchen Weg meine Ordensbrüder gegangen sind. Ich weiß, auf wie vielfältige Weise ihr Herz gestählt wurde, um im Kampf gegen die Anderen bestehen zu können. Das ist mehr, als ich von dir weiß, Bruder Erzverweser.«
Charles verschlug es für einen Augenblick lang die Sprache.
»Du …«, begann er und fand einfach keine Worte. Wie konnte sie es wagen, auch nur anzudeuten, dass er zu einem solchen Verrat fähig wäre?
Der Vorhang vor dem Pavillon teilte sich. Ein junger Ritter sah zu ihnen herein.
»Er ist näher gekommen. Nahe genug, denke ich.« Charles ignorierte den Ritter. Er stellte sich die Frage, wem gegenüber Lilianne vielleicht schon ähnlich herablassend über ihn gesprochen hatte. Dass sie es wagte, ihm ins Gesicht zu sagen, sie zweifle an seiner Verschwiegenheit und somit auch an seiner Loyalität, war ungeheuerlich! Und sie hatte sich geweigert, einem Befehl von ihm zu gehorchen. Er würde herausbekommen, wer ihr Spitzel war. Es musste jemand aus dem Umfeld des Königs sein, der während der Verhandlungen in der Scheune gefehlt hatte, als Lilianne zum Waldtempel ging. Der Erzverweser erinnerte sich noch gut, mit wem er am Tisch gestanden hatte. Er lächelte. Sollte die Komturin ihn nur für einen trägen, alten Kirchenfürsten halten! Das wäre sein Vorteil. Er würde sie überraschen!
Alvarez und Lilianne holten die Rabenkäfige hervor. Die
Tiere krächzten und versuchten ihre Schwingen auszubreiten. Mit spiegelnden schwarzen Augen blickten sie den Erzverweser an. Sie waren gut im Futter. Als Kind hatte er Angst vor Raben gehabt. Seine Amme hatte ihm einmal erzählt, die Raben seien Diener der Anderen, und manchmal kämen sie unartige Kinder holen. Er hatte einmal gesehen, wie sie ein neugeborenes Lamm getötet hatten. Er mochte diese Vögel nicht. Seine Angst hatte er längst überwunden. Aber sie waren ihm zuwider. Aasfresser, die meist von dem lebten, was andere zurückließen.
Lilianne öffnete den ersten Käfig. Der Rabe darin legte den Kopf schief und blickte misstrauisch zur Ritterin auf. Schon war ein zweiter Käfig offen. Dann ein dritter.
Der erste Rabe hüpfte aufs Deck hinaus und streckte prüfend die Flügel.
Charles wich bis zu den gepolsterten Truhen an der Reling zurück. Das sind nur Vögel, sagte er sich. Seine alten Ängste kehrten wieder. War es möglich, dass die Komturin darum wusste? Tat sie das hier, um ihn zu quälen?
Narr, schalt er sich in Gedanken. Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt! Nicht alles, was geschieht, steht in Bezug zu dir.
Inzwischen waren sämtliche Käfige geöffnet. Es waren zehn. Lilianne und Alvarez redeten ruhig auf die Vögel ein. Der Kapitän verscheuchte einen Raben, der sich auf dem Lager der kleinen Prinzessin
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