Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
der Neuen Ritterschaft. Wir haben mit unserem Blut für sie gezahlt. Der Ordensmarschall wird entscheiden, was mit ihr geschieht.«
Die Galeere wechselte den Kurs. Die großen Segel schlugen im Wind. Dann blähten sie sich erneut.
Charles ballte in hilfloser Wut die Fäuste. Er war ausgeliefert! Aber Lilianne sollte ihn nicht unterschätzen. Auch er hatte seine Spitzel. Wenn sie nach Paulsburg kamen, blieben ihr höchstens vier Tage, um die Geisel zu entführen. So arrogant, wie sie sich aufführte, würde sie nicht damit rechnen, in ihrer eigenen Burg entmachtet zu werden.
Mit Genugtuung sah Charles den weißen Vogel fallen. Damit hatten die Anderen ihren Feldherrn in Drusna verloren. Nach den Ereignissen auf der Lichtung würde es einige Zeit dauern, bis sie ihre Truppen wieder ins Feld führen konnten. Lilianne hatte damit ihre Schuldigkeit getan. Die Kirche konnte es sich erlauben, ihren militärischen Arm in Drusna neu zu organisieren. Vor dem Winter würde es gewiss keine
Schlachten mehr geben. Er sah die Komturin an und schenkte ihr ein herzliches Lächeln. Sie war eine schöne Frau. Wer weiß, wie tief sie fallen würde. Gewiss hatte sie in diesem Augenblick den Höhepunkt ihrer Macht erreicht. Doch in weniger als einer Woche würde man sie der Rebellion anklagen und in Ketten nach Aniscans bringen.
Charles kniete sich neben die Prinzessin und fühlte ihren Puls. Er flatterte unbeständig. Allein Tjured wusste, ob sie diesen Tag überleben würde. Aber das war unbedeutend.
»Du hast heute eine Kirchenfürstin zu Fall gebracht, meine Kleine«, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann ließ er sich erschöpft auf einer der Truhen nieder. Er konnte warten. Die Zeit arbeitete nun für ihn.
DIE VERBORGENE QUELLE
Die Mittagssonne fiel der Ritterin ins Gesicht, als sie blinzelnd die Augen öffnete. Luc war zu Tode erschöpft. Seit er die schwarze Beule geöffnet hatte, war er bei ihr geblieben. Sie hatte starkes Fieber bekommen und immer wieder einen Namen gerufen, mit dem Luc nichts anzufangen wusste. Erst gegen Morgen war ihr Schlaf ruhiger geworden.
Jetzt sah der Junge zu der weißen Dame hinüber. Im Mittagslicht erstrahlte sie so hell, dass er den Blick sofort wieder abwenden musste.
»Bitte überlebe! Wenigstens du. Bitte!«, murmelte er vor sich hin.
Luc löste seine Hand aus dem Griff der Ritterin. Sie hatte ihn die ganze Nacht über in ihrem unruhigen Schlummer festgehalten, als sei er der Anker, der sie mit dem Leben verband. Jetzt sah sie ihn an. Ihre Lippen waren rissig.
»Ich werde etwas zu trinken bringen, Herrin.«
Sie reagierte nicht auf seine Worte.
Er nahm die Feldflasche aus ihrem Gepäck und ging zu der nahen Quelle. Seine Glieder schmerzten. Zu lange hatte er stillgesessen. Er genoss es, sich zu bewegen. Die Luft flimmerte in der Mittagshitze. Wundervolle Schmetterlinge umkreisten die Rosenblüten des verborgenen Gartens.
Luc fühlte sich unbeschreiblich frei.
Sie musste einfach weiterleben, dachte er. Er hatte so innig für sie gebetet, mit tränenerstickter Stimme und dann wieder voller Trotz. Er wünschte, er hätte auch für seine Mutter so sehr gebetet, dachte er betroffen. Hätte er auch sie retten können? Aber sie hatten ihn nicht zu ihr lassen wollen. In ihren Augen war er nur ein Kind gewesen …
Er duckte sich in den gemauerten Tunnel am Ende der Gartenmauer. Hier war es deutlich kühler. Die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf. Ein Prickeln überlief ihn. Da war wieder eine der unsichtbaren Mauern. Etwas in ihm spannte sich an, als er weiterging. War es die Kraft der weißen Frau, die er spürte? Oder beobachteten ihn gar die Anderen?
Er beschleunigte seine Schritte. Aus dem hellen Sonnenlicht kommend, konnte er im Tunnel fast nichts mehr sehen. Vorsichtig tastete er sich an den moosbewachsenen Mauersteinen entlang. Hier unten war er noch nie gewesen. Er hatte das Wasser rauschen hören bei seinen früheren Besuchen im Garten. Aber die unsichtbare Mauer hatte ihn abgeschreckt. Früher war er stets zu einer anderen Quelle gegangen, die
ein ganzes Stück entfernt einen verfallenen Brunnen speiste. Doch diesmal wollte er sich nicht so weit vom Rosengarten entfernen. Er sorgte sich, die Ritterin lange allein zu lassen. Sie war noch sehr schwach.
Etwas streifte sein Gesicht. Luc blieb wie versteinert stehen. Es war nur eine flüchtige Berührung wie mit einer Feder gewesen.
»Ist da jemand?«
Er erhielt keine Antwort. Besorgt sah er zurück. Der Eingang zum Tunnel
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