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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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durchscheinend. Man sah sehr viel, falls sich jemand nackt darin aufhielt, und Betty schien sich nicht daran zu stören, wenn Tom am Herd stand und eventuell verkrustete Kaffeereste mit einem Stahlschwämmchen beseitigte (was selten genug vorkam) oder am Tisch saß, rauchte und Zeitung las unter dem gelben Licht der Küchenlampe. Wie selbstverständlich ging Betty dann mit ihrem über der Brust verknoteten Handtuch an ihm vorbei, hauchte eine Begrüßung, strich ihm vielleicht durchs Haar, ließ das Tuch – meist ein hellblauer Frotteestoff mit weißen Tierpfotenabdrücken – hinter sich auf einen Stuhl gleiten, er sah ihr nach oder auch nicht, sah die Linie ihrer Wirbelsäule, die sich verjüngende Kontur ihres schmalen Rückens bis hin zur Taille und das Rund des Beckens, die beiden Grübchen rechts und links über den Pobacken, die glatten Beine, oder er sah all das nicht. Auch ihren Schatten in der Duschkabine sah er oder sah ihn nicht, diese schlanke Silhouette, überlagert von am Kunststoff herabrinnenden Wassertropfen, diesen dunklen Umriss mit dem nach oben gebogenen Arm, der den Duschkopf hielt. Und er hörte, wie ihr Ellbogen beim Einseifen gegen die Plastikwand donnerte, oft auch brachte er ihr Shampoo, wenn es fehlte, weil er zufällig in der Nähe war, und reichte es ihr über den Rand der Duschkabine, oder sie öffnete schnell die Tür, und warmer Dampf schlug ihm entgegen und, vernebelt, das Bild ihrer nassen Brüste mit dunklen Kringeln von Haar darübergeklebt.
    Sie war hübsch, aber ihre Hübschheit irritierte ihn nicht. Er wäre gar nicht auf die Idee gekommen. Anfangs vielleicht, die ersten Tage, aber schließlich wäre es absurd gewesen, jedes Mal erschrocken die Küche zu verlassen, wenn sie mit ihrem Pfotenhandtuch auftauchte. Schließlich badeten sie auch gemeinsam. Im Oktober, als noch einmal ein goldener Herbsttag zurückgekommen war, unerwartet, waren sie kurz entschlossen zu dritt an einen See gefahren, der in versponnenem Licht lag, einsam, tief im Tal inmitten der herbstlichen Flammenfarben des Waldes, die im Wasser schwankten. Sie hatten auf einem Holzsteg gelegen, natürlich hatten sie sich ausgezogen und waren hineingesprungen, waren jubelnd geschwommen, hatten den Kopf in den Nacken gelegt und die schiefen Wipfel des Waldes betrachtet vor dem tiefen Blau.
    Tom kannte Bettys Körper, kannte ihn besser als denjenigen seiner Geliebten. Umfassender zumindest. Seine Geliebte enthüllte ihm stets nur Teile, gewisse Ausschnitte ihrer Schönheit, ein Dalli-Klick-Spiel der Erotik, und was hätte er dafür gegeben, einmal ihrem Duschen beizuwohnen.
    Dennoch war er glücklich in diesem Herbst, vielleicht glücklich wie nie, denn Anne Hermanns war es leid , so formulierte sie es, derart geringe und langsame Fortschritte auf ihrem Instrument zu machen. Daher hatte sie ab dem ersten November die Anzahl ihrer Klavierstunden auf zwei pro Woche erhöht, was keineswegs garantierte, dass sich der Körperkontakt zwischen Schülerin und Lehrer automatisch verdoppeln würde, doch zumindest vergrößerte sich die Wahrscheinlichkeit. Tom sang tagelang innerlich vor sich hin. Alles, dieses trostlose Wetter mit seiner Kälte, die Regennässe, die von Wind zerblasen durch die dunklen Straßen stäubte, der Autolärm auf spritzendemAsphalt, das Donnern der U-Bahnen in ihren zugigen Tunneln, die fahlen Gesichter hastender, weil frierender Menschen, all das, was den November in Berlin ausmacht, erschien ihm freundlich, erhebend, mit einem unsichtbaren Hintergrund, einem höheren, schöneren Sinn unterlegt, einem wunderbaren, aber, zugegeben, etwas unpassenden Soundtrack aus Violinen und Celli.
    Als er Marc die Neuigkeit mitteilte, sprach er so, als hätte ihm Anne (er dachte und redete nun von ihr als Anne, meist ohne Nachnamen) einen Heiratsantrag gemacht, als hätte sie wenigstens angekündigt, ihren Mann zu verlassen oder ein Kind zu erwarten von ihm, dem Klavierlehrer. Marc aber saß am wackligen Holztischchen im Proberaum, drehte eine Zigarette, zündete sie an und schien nachzudenken.
    »Zweimal die Woche also«, wiederholte er unnötigerweise. Dann fuhr er mit dem Finger einen vertrockneten Kaffeerand nach, schnippte anschließend einen Fussel aus Asche auf den Fußboden. Tom bemühte sich, das Nachdenkliche seiner Gesten zu übersehen. »Ach Marc«, sagte er, ohne die Absicht weiterzusprechen. Er lächelte lediglich über den Tisch hinweg in Richtung der Gesangskabine, wo links daneben die Reste von

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