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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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– in die rauchfreie Höhenluft des Operngesangs oder doch lieber in die dämmrigen Bars des Jazz.
    Sie zweifelte viel. Sie fand ihre Stimme wenig voluminös, sie verglich sich mit den großen dramatischen Sängerinnen, die ein ausladendes Vibrato hatten, schwankend wie Meeresbrandung, während sie selbst hingegen eher ein glasklarer Gebirgsbach, aber einzigartig war, so dachte Tom, in der Farbe: klares, helles Wasser, je nach Lichtstimmung von einem unverwechselbaren Türkisgrünblaujadeocker, so fand er, und er sagte es ihr mehrmals, um ihre ewigen Zweifel zu zerstreuen. Sie aber konnte sich noch immer nicht vorstellen, dass man dasjenige, was man am meisten liebte auf der Welt, ungestraft als seinen Beruf bezeichnen durfte. Sie erwartete die Quittung für ihr Lotterleben (das in stundenlangen täglichen Gesangsübungen, Theorieunterrichtan der Hochschule, Singen im Extrachor der Staatsoper, Tresendienst in einem mediterranen Feinkostladen, Hundeausführen und Vorlesungen an der medizinischen Fakultät bestand), sie erwartete existentielles Unglück oder zumindest die Strafe mangelnder Begabung, die sie auf den Boden gesicherter Tatsachen zurückholen würde, auf den Boden eines ordentlichen Berufs, der unschön ist, aber ein Beruf.
    Marc verstand das nicht. Es war ein fundamentales Nicht-Verstehen: Er fragte sie, ob es ihr um Geld gehe, ob sie Angst habe, mit der Musik kein Geld zu verdienen. Sie wiegte den Kopf. Das Geld war es nicht allein, nicht vor allen Dingen. Marc meinte, eben, um Geld könne es nicht gehen, nicht in erster Linie, Geld brauche man, sicher, aber man brauche nicht viel, und das bisschen, das man leider doch brauche, könne man sich immer irgendwie beschaffen, das Geldverdienen komme an allerletzter Stelle im Leben. Wieder wiegte Betty den Kopf, es gehe ihr auch nicht unbedingt darum, sagte sie, eher um eine moralische Grundsatzfrage, die sich darum drehe, ob man verpflichtet sei, weil man nun einmal am Leben war, einen gewissen Ernst dieses Lebens auch anzuerkennen, Verpflichtung, Beruf, Zwang, Kinder vielleicht, weil dies nun einmal zu diesem Leben dazugehöre, ja, weil dieses Leben vielleicht letztlich aus diesen Dingen sich zusammensetze: Verpflichtung, Beruf, Zwang. »Quatsch«, sagte Marc, »Blödsinn«, dabei schüttelte er langsam den Kopf und lächelte verwundert und hielt ihre beiden Hände, während er ihr gegenübersaß am Küchentisch, und es sah aus, als wollte er mit seinen Augen ihre Blicke trinken, wenigstens ihren Mund küssen. Stattdessen strich er ihr eine glänzende Haarsträhne aus der Stirn, hinters Ohr, und sie lächelte jetzt auch und neigte ihre Wange in seine Hand.
    Oft wunderte sich Tom über dieses Anschauungsmaterial in Sachen Liebe: Wie sie wirklich stundenlang ihre Gesichter betrachten konnten unter der Plexiglashaube oder ihre Hände gegenseitig, die bläulichen Adern, die etwas verdickt an manchen Stellen hervortraten, die sie dann mit den Fingerkuppen auf dem Handrücken nachfuhren, oder Flaumhärchen im Gesicht, am Übergang zum Hals, wie sie diese Regionen anstrahlten mit einem inwendigen Scheinwerferlicht, das durch die Augen nach draußen strömt auf denjenigen, den man liebt und der durch eben dieses Glanzlicht der Verliebtheit erst schön wird. Mehrmals, während er kochendes Wasser ins Filterpapier schüttete oder ein Marmeladenglas aufschraubte, musste Tom an Breitenbachs Sehstrahlen denken, die ihm so falsch gar nicht vorkamen. Platon nämlich, und nach ihm die Theoretiker des Mittelalters, so der beigebraune Professor, hatten sich das Wunder des Sehens folgendermaßen erklärt: Die Seele des Menschen, worin Gott (oder das Eine oder die Wahrheit oder die Liebe oder der unbewegte Beweger oder die Gerade, die ein Kreis ist, oder wer auch immer) ein Lichtlein angezündet hatte, längst vor der Geburt, war aufgrund dieses Lichtleins eine leuchtende Laterne, und beim Vorgang des Sehens nun, so Breitenbach, entsandte diese inwendige Seelenlaterne im Menschen ihre Strahlen nach draußen in die Welt. Beim Sehen also beleuchte der Mensch die Welt, setze die Welt in entsprechendes Licht, »wir sehen nur, was wir aus unserem Inneren heraus anleuchten«, hatte Breitenbach geäußert, »und erst wenn wir sie sehen, wird die Welt zur Welt!«

MAN KANN ES SICH JA NICHT AUSSUCHEN
    In Ermangelung eines Badezimmers duschten sie in der Küche. Und auch Betty duschte in der Küche. Wie es die verkalkten Plastikwände von Duschkabinen aber an sich haben, sind sie leicht

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