Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Scheinwerfer, denkt er, von uns selbst zu steuern, und es ist ihm ein Wunder, wie er jahrelang Betty nicht hat sehen können neben Anne. Nicht im Hermanns-Garten, nicht jeden zweiten Tag in der dampfvernebelten Dusche, nicht am Küchentisch, Brötchen mit Marmelade essend. Es ist ihm ein Rätsel, wie Betty eine ganz normale Frau hat sein können, Tag für Tag, Jahr um Jahr, eine Freundin, eine, die einem nah ist, die man liebt, sicher, nicht aber anstrahlt in der Art eines Scheinwerfers. Ein Schwenk nur, ein minimaler Richtungswechsel, und alles wäre anders gewesen.
Mit halb geöffneten Lidern betrachtet er die Frau in seinem Bett. Unter dem Faltenwurf des Lakens erhebt sich das Relief von Hüfte, Beinen, Füßen. Ein schmaler Körper, offenbar schlafend, flammenhaarig. Ihre Hand liegt in seiner, eierschalenfarbig, schmal und zerbrechlich wie Eierschalen.
Die Frage: Was ist passiert? Trotz der allerernstesten Absicht weiterzuschlafen, stellt sie sich. Die Antwort scheint nahezuliegen, bedenkt er und überprüft mit geschlossenen Augen den Geruch ihres Parfums auf seinem Kopfkissen: Er, Tom Holler, mit einer Frau im Bett, wann hat das zuletzt stattgefunden? Fast will er stolz sein. Trotzdem schwebt die Frage im dämmrigen Raum wie das Morgenlicht, das sich von der Jalousie nicht länger zurückhalten lässt und durch die Ritzen strömt: Was genau ist passiert? Das Meerestosen vor dem Fenster hat sich in seinem erwachenden Ohr längst als Autoverkehr zu erkennen gegeben,lärmender, knatternder, puckernder Verkehr auf Kopfsteinpflaster, der aber an Meeresrauschen erinnert.
Passiert ist, denkt er langsam, in seinem Gedächtnis herumschleichend, während seine Hand noch immer in ihrer liegt, als fürchte er, sie zu wecken, bei einer schnelleren Gedankenbewegung, passiert ist zunächst, dass man sich, wie verabredet, zur Stadtbesichtigung getroffen hat. Auf der Piazza de Ferrari, am Brunnen, der seine tosende Wasserfontäne in den blauen Himmel stellte, so dass man sein eigenes Wort nicht verstand. Diedrich, erinnert er sich, war von einer unerträglich guten Laune wie besessen gewesen, er selbst von fürchterlichen Kopfschmerzen. Und die Frauen trugen ein indifferentes, schwer zu interpretierendes Lächeln im Gesicht, von dem niemand hatte ahnen können, worauf es sich bezog.
Man hatte Kaffee getrunken, in einer Bar im Freien. Graue Ascheflöckchen wurden vom Wind über die spiegelnde Fläche des Alutisches getragen. Alles war ihm laut, grell und aufdringlich erschienen. Er hatte sich Jalousien gewünscht vor seinem Gesicht, Eisenrollläden. Er versuchte es mit einem doppelten Espresso und einem kleinen Cognac.
Maren sprach über das Tagesprogramm. Er nickte, bestellte weiteren Kaffee, aber keinen Cognac. Während Maren über die bedeutende Stellung Genuas als Hafenstadt, Geldstadt, Handelsstadt in Mittelalter und Renaissance referierte, versuchte er, sich zu erinnern, ob er sie am Abend vorher geküsst hatte. Sie sagte: »Kolumbus und die Bedeutung der Seefahrt.« Er forschte in ihrem Gesicht, aber weder dieses noch ihre Gesten, das spärlich eingesetzte Schwenken der Hände, Zurückstreichen des Lockenhaares, noch ihre Blicke, auf die Tasse, das Wasserglas, in seine Augen, aber immer inhaltlich – denn es sei schließlichallerhand, sagte sie, dass die Genueser geglaubt hätten, eine windige dunkelgrüne Glasschüssel, die sie heute im Dommuseum aufbewahrten, sei tatsächlich der Heilige Gral – hatten etwas verraten. Nur einmal, wie ihm schien, zeigte sich auf ihrer Wange der kurze Hauch eines Errötens, als er eine Papierserviette von ihrem Wollpullover zupfte, die eine Meereswindböe dorthin getragen hatte.
Vom lärmenden Oval des Platzes aus waren sie in den engen Schatten der Altstadt gebogen. Die Mauern ragten steil und schweigend empor, darüber spannte sich blauer Himmel. Die dunkle Ruhe, wenn nicht eine Vespa vorüberschoss, war so groß, dass ihre Schritte hallten. Er sah Marens Kontur von hinten, den Schattenriss ihres Haars. Schön war es, geführt zu werden, aber auch anstrengend, aber egal. Hinter der Sonnenbrille kniff er die Augen zusammen, da er noch immer das Gefühl hatte, dass all die Eindrücke ungefiltert in ihn hineinströmten. Zwei aufflatternde Tauben. Ein Holzgerüst an einer Mauer, das diese vorm Einsturz bewahren sollte. Am Rund eines kleinen Platzes zwei Kirchen, dicht einander gegenüber, die eine mintgrün, die andere gelb, scharfkantig halb beleuchtet von einem Streifen
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