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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Umarmung, Anne.
    Vierzehn Tage später, als der Schnee längst getaut war und Tom von der Hochschule nach Hause kam, hatte er einen Anruf auf dem AB. Es war ihre Stimme, aber die alte Anne-Hermanns-Lage, das hohe Säuseln, das ihm sagte, dass sie leider keinen weiteren Klavierunterricht nehmen könne, zeitlich gesehen. Es tue ihr leid, diese Nachricht, so unverbindlich jetzt leider, nur am Telefon, auf dem Anrufbeantworter, aber sie erreiche ihn nicht, sprach sie sehr ausführlich, siezte ihn, »Herr Holler«, bis sie vom Piepen unterbrochen wurde. Anschließend hatte sie erneut angerufen, nur um sich zu verabschieden, sagte sie, sie sei unterbrochen worden. »Alles Gute dann, auf Wiedersehen.« Klacken.
    Marc, der die Anrufe bereits vor ihm abgehört hatte, stand in der Tür, Arme vor der Brust verschränkt, starrte auf den Fußboden. Als Tom ihn fragend ansah, als erwarte er von ihm eine Erklärung, hob er die Schultern, kippte seinen Kopf in den Nacken, verbog die Augenbrauen, offensichtlich wusste er nicht, wohin damit, öffnete den Mund, aber statt zu reden, atmete er nur tief ein.
    »Sollen wir ein Bier trinken gehen?«, fragte er endlich. Aber Tom schüttelte den Kopf, ging an ihm vorbei und lief zunächst ins Wohnzimmer, blieb dort in der Mitte des Raumes stehen, ohne zu wissen, was er da eigentlich wollte, Blick an die Wand, die sie noch immer nicht renoviert hatten, diese notdürftig übertünchte Rillen-Tapete, und er dachte an nichts, nur daran, dass er eigentlich nicht wusste, was er hier im Wohnzimmer sollte, aber er spürte, dass sich dieser Augenblick unter die Oberfläche seines Gedächtnisses schieben würde wie eine Tätowierung. Dann stolperte er in sein Zimmer. Später hörte er, wie Betty nach Hause kam, er hörte sie mit Marc leise sprechen, dann ging wieder eine Tür, jemand verließ die Wohnung. Kurz darauf ein Klopfen. Er sagte nichts, saß an seinem Schreibtisch, sah es und sah es auch wieder nicht, wie sich die nachtschwarze Pappel vor seinem Fenster im Wind beugte, die kahlen Zweige, wie ein Reisigbesen, dahinter die gegenüberliegende Häuserreihe mit all den Löchern aus Licht. Es klopfte wieder. Marcs Stimme, er öffnete die Tür: »Hey Tom, wir trinken jetzt mal ein Bier zusammen.« Als Tom seinen Arm auf der Schulter spürte, vergrub er das Gesicht in den Handflächen, stöhnte, was klingen mochte wie Schluchzen. Er stand auf, nahm die Jacke, die Marc ihm hinhielt, und sie gingen in die Nacht und liefen gegen den Wind, bis sie eine Kneipe fanden, in der sie schweigenkonnten. Und Bier trinken und rauchend aneinander vorbeisehen. Und schließlich redeten sie. Marc erzählte komische Geschichten, von denen der Himmel wusste, wo er sie in diesem schwierigen Moment hernahm, über eine Gastprofessorin in Tonsatz namens Hildegard Weisz, Amerikanerin, die Haare hatte, wirklich wie Flachs, schwarze Schmetterlingsbrille und derart winzige Hände, dass sie auf dem Klavier nicht einmal eine Oktave greifen konnte, außerdem hatte sie ein Hündchen, hatte es stets dabei, einen kleinen tauben Yorkshire, und zwar saß er nicht etwa in einer Handtasche, sondern in einer glänzenden Papiertüte mit Gucci-Aufschrift, die sie, wann immer sie spielte, auf dem Klavier abstellte. Hildegard (er sagte amerikanisch »Hildegaard«) Weisz. Außerdem gab es die gute Nachricht zu vermelden, dass Marc endlich das Sockenproblem gelöst habe, das sich seit Bettys Einzug noch verschlimmert hatte. Er habe eine Erfindung gemacht, die er sich nur noch patentieren lassen müsse, dann wären sie reich: Es war eine Wäscheleine, die man an zwei Spindeln vor und zurück durch den Flur spannte, die man also von einer Stelle aus bewegen konnte und an der – und nicht etwa in getrennten Kommoden – die Haushaltsmitglieder ihre Socken, hängend, aufbewahrten, wodurch jeder durch ein Ziehen am Seil den ganzen gegenwärtigen Sockenbestand an sich vorübergleiten lassen und die jeweils passenden Einzelstücke dazuhängen konnte. Obwohl er es wirklich nicht wollte, musste Tom lachen: »Und wie findet dann jeder seine?«
    »Ich weiß nicht.« Marc bog ratlos die Mundwinkel nach unten. Das sei zweitrangig, es gehe ja in erster Linie darum, Paare zusammenzustellen und nicht lauter Einzelsocken zu haben.
    »Marc, ich hatte noch nie solchen Sex!«, sagte Tom. Und dannredete er noch lange über Anne, über ihre Traurigkeit, über diese unwirkliche und doch vielleicht einzig wirkliche Schneenacht, über ihre beiden unterschiedlichen

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