Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
Vom Netzwerk:
konnten?«, fragte er, was ihn nämlich nun doch interessierte.
    Maren überlegte einen kurzen Moment. Aber dann wusste sie schon weiter. Sie erklärte das scholastische System, sie erklärte den absoluten Gott, der im Nominalismus an kein Gesetz gebunden gewesen sei und daher schalten und walten konnte wie ein osteuropäischer Diktator. Sie erklärte, wie aus diesem absoluten Gott ein verborgener Gott geworden sei, so Maren. Und Tom, der ihr gegenüberstand, staunend, ohne zu wissen, worüber er eigentlich im Einzelnen staunte, konnte nur schwer folgen. Aus dem Augenwinkel sah er den dunklen Hintergrund des Gemäldes, dann den Hintergrund des hohen Museumsraums, und die aus ihm hervortretenden Passanten erschienen ihm plötzlich zweidimensional, flach, wie Scherenschnitte.
    Maren sagte: »Der Mensch konnte Gott immer weniger begreifen, denn er war ja an kein logisches Gesetz gebunden.« Tom betrachtete ihren Hals, der ihm zweidimensional erschien. Ihre Stimme, von der er nur Bruchstücke auffing, glitt ebenfalls gleichsam zweidimensional durch den Raum, wie ein Spruchband. Er nahm die Sonnenbrille ab.
    Maren sagte: »Kontingenz.« Und: »Gott wurde letztlich zueinem Synonym des blinden Zufalls.« Und: »Ein verborgener Gott ist ebensogut wie ein toter Gott.«
    Eine Reisegruppe strebte beigewolkig durch den hohen Saal und verschwand hinter der angrenzenden Flügeltür. Durch die Bewegung erhielt der Raum seine Dreidimensionalität zurück.
    Angesichts der »metaphysischen Obdachlosigkeit«, so Maren, die nun wieder körperlich vor ihm dastand, habe der Mensch freie Hand gehabt, ja sei er gezwungen gewesen, sich selbst ein Haus zu bauen, Zentralperspektive, Fortschritt, Wissenschaft, Kunst etc.
    »Moment mal«, sagte aber Tom, dem das alles auf einmal zu einfach erschien, auch weil nun wieder alles räumlich vor ihm sich in die Tiefe auffächerte, unüberschaubar, teils hinter Ecken und in Nischen verborgen, und weil er sich außerdem schon vor langer Zeit dafür entschieden hatte, zu wissen, dass nichts einfach war im Leben. Also sagte er: »Ein verborgener Gott ist doch kein toter Gott. Wenn ich mich verstecke, bin ich doch noch lange nicht tot.«
    »Nein, aber bald.«
    »Gott ist also in seinem Versteck verhungert.«
    »Sozusagen.«
    »Sie haben vergessen, ihn zu füttern.«
    Maren lachte, als wäre das lustig, wenn jemand verhungert, und fuhr fort, denn sie war unterbrochen worden, indem sie erklärte, dass es nämlich in ihrer Doktorarbeit um gewisse Ähnlichkeiten, Parallelen gehe, die sie aufzuzeigen beabsichtige, um den menschlichen Blick beispielsweise, zunächst als eine Fortentwicklung und später als Auflösung der Zentralperspektive, den subjektiven, sich selbst reflektierenden Blick auf die Welt; man denke an die Bilder der Romantik, man denke an, sagtesie und schob ihre Ärmel ein wenig hoch an den weißen Armen, Caspar David Friedrichs Arbeiten, wo keineswegs die Landschaft im Mittelpunkt stehe, sondern eben der Blick des Betrachters, wo die Welt aus den Augen des Individuums erst entworfen werde.
    »Ist die Welt also ein Kaffeeservice, wo auf allen Teilen das gleiche Muster drauf ist?«, fragte Tom und unterbrach sie schon wieder.
    »Wieso?«, fragte Maren. Aber Tom wusste selbst nicht, wieso, wusste aber, dass ihm das schon gefallen würde, die Welt als riesiges Kaffeeservice, dachte er. Man nimmt sich einen Unterteller, studiert ihn aufmerksam und hat auch schon das Ganze begriffen.
    »Die Fluchtlinie in den Horizont«, sagte Maren jetzt, und Tom verfolgte die blauen Linien auf ihren Händen, dieses großmaschige Adernetz, durch das ihr Blut floss. »Der Blick des Betrachters«, sagte sie, und Tom dachte, dass es doch alles egal war. Dass es gespenstisch aussehen musste, stellte er sich vor, wenn sie nackt wäre. Aber auch reizvoll. Aber gespenstisch. Ihr Mund, bemerkte er, war hellorange, eine winzige Mandarine, es musste am Licht liegen, und ihre Schneidezähne zeigten kleine dunklere Verfärbungen, es sah aus, als hätte sie selbst auf den Zähnen Sommersprossen.
    »Wir sollten lieber küssen«, flüsterte Tom, nah an ihrem Ohr, aber unauffällig. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so kühn gewesen zu sein. Maren sah auf das Bild, auf den Übergang von Mittelalter zu Renaissance, als hätte sie nicht gehört, aber ihr linker Mundwinkel dehnte sich zu einem Lächeln, wodurch direkt daneben eine dreieckige Vertiefung, ein Grübchen entstand. Dann drehte sie den Kopf, ließ ihren Blick tief in

Weitere Kostenlose Bücher