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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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bereit. Den Jackenkragen hatte er hochgestellt, was aber nichts nützte, denn der Regen strömte längst am Hals hinab. Er trug Turnschuhe, geflickte Jeans, aber eine Krawatte um den Hals, außerdem eine Mappe im Arm, die er jetzt fluchend unter seine Jacke schob. Auch er streckte seine Hand aus, winkend, aber in Neapel wird zuerst derjenige bedient, der am lautesten schreit. Also sprang er auf die Straße, verdunkelte mit seinen Beinen die gelbe Scheinwerfersäule eines Taxis, schlug mit der flachen Hand auf die Motorhaube, und Betty, die neu war in dieser Stadt, dachte: So also funktioniert es hier, aha, und hörte ein Rufen aus dem offenen Taxi, das einige Meter entfernt noch einmal angehalten hatte. Ein für sie bestimmter dringlicher Blick, begleitet von einigen Handzeichen vor der Brust. Sie solle einsteigen. Sie zögerte. Ihre Haare tropften. Ein Schwall Regenwasser, aufgewirbelt von einem Autoreifen, spritzte ihr über die Sandalen bis zu den Knien. Er sah nicht aus wie ein Mörder oder Vergewaltiger, er sah aus eher wie ein Bibliothekar (obwohl er keine Brille trug).
    Sie stieg ein zum Bibliothekar. Auf den Ledersitzen schwammenbereits Pfützen, worüber der Taxifahrer herzlich schimpfte, als hätten sie vorsätzlich in seinen Wagen gekotzt. Der Bibliothekar, der aber keiner war, sondern Alfredo, Publizist und Kommunist, was sie noch nicht wusste, sprach auf Neapolitanisch zu ihr, schien einen Witz zu machen, denn sogar der griesgrämige Taxifahrer musste lachen, während er den Blinker setzte und anfuhr. Betty aber, indem sie eine Haarsträhne zurückstrich, zuckte mit den Schultern. Nur Italienisch, sagte sie, leider verstehe sie keinen Dialekt, weshalb sich sofort das Herkunftsthema anbot, ach, da sei sie also Deutsche, und so weiter, ein Diskurs, der sie langweilte, weil tausendmal geführt, schon in Bologna, wo sie die letzten drei Jahre ihr Medizinstudium abgeschlossen hatte.
    Warum Italien?
    Ja, warum? Kaum würde sie ihm erklären, dass sie aufgrund gewisser Umstände augenblicklich fortgemusst hatte, dass sie in einem früheren Leben zwei Uni-Kurse Italienisch belegt hatte, außerdem Sängeritalienisch an der Hochschule, und eben nicht Spanisch oder Isländisch, dass es andernfalls vermutlich Barcelona geworden wäre oder Reykjavík und nicht Italien, dass es ihr aber zu dem Zeitpunkt scheißegal gewesen war, wo sie hinkam, nur weg, in der Hoffnung, ein anderer Mensch zu werden, mit anderen Erinnerungen, was allerdings leider bisher nicht eingetreten war. Weder in Bologna noch in Neapel. Natürlich sagte sie nichts davon. Sie würde es ihm nie sagen, höchstens andeutungsweise, sie würde kleine Ausschnitte davon beleuchten, allenfalls, denn dafür war sie nicht in diese durchgedrehte Stadt gekommen, um über ihre Vergangenheit zu sprechen.
    Sie liebe Italien, sagte sie nach kurzem Zögern. Und es warnicht einmal ganz gelogen. Darüber hinaus habe sie hier einen Job gefunden. Also versuchte er zu erraten, was sie machte, beruflich. Er riet vieles: Kunsthistorikerin, Archäologin, Fremdenführerin, und auf einmal, Betty erstarrte, merkte, wie ihr Mund in einem Lächeln stehen blieb, weil ihr Begleiter durch die regennasse Rückscheibe aufs rote Opernhaus San Carlo deutete und triumphierend ausrief, dass er es jetzt wisse, ganz klar, sie sei Sängerin.
    Ihr lächelnder Mund, der in diesem Lächeln festhing, versuchte zu verneinen, schaffte es aber nicht, weswegen sie knapp den Kopf schüttelte.
    Nicht?
    Kopfschütteln.
    Also nicht Sängerin, dann wisse er auch langsam nicht mehr weiter, sagte er und gab auf.
    »Ärztin«, hörte sie sich sagen und, als könne sie es selber nicht ganz glauben, präzisierte sie, dass sie Anästhesistin sei, am Poliklinikum Neapel, Piazza Bellini. Aber er wusste natürlich, wo das Poliklinikum lag, nämlich gegenüber vom Musikkonservatorium, er sei ja erst vor einem Jahr da gewesen, um sich den Blinddarm herausschneiden zu lassen, sagte er und schien nicht besonders enttäuscht über ihren Beruf, eher über sein ratetechnisches Unvermögen. »Anästhesistin«, wiederholte er zwei-, dreimal, während er ohne Scheu an ihr hinab- und hinaufblickte, als statte er sie in Gedanken mit der grünen OP-Kleidung aus, Umhang, Handschuhe, Häubchen, fertig ist die Anästhesistin. Er nickte. Er sei nicht gut im Raten, nie gewesen, lächelte er entschuldigend. Der Taxifahrer aber wollte endlich wissen, wo es nun überhaupt hingehe.
    »Corso Vittorio Emmanuele«, befahl Betty.

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