Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
wie wir es ertragen müssen . Aber er sagte nichts dergleichen.
Arm in Arm gingen sie durch die schwarze Stadt, manchmal blieben sie stehen, in engen Häuserportalen, einmal auf einer Piazza. Maren lehnte am Rand eines Brunnens, Wasser stäubte, seine Hände lagen auf ihren Schultern, seine Daumen erkundeten die Linie ihres Halses, sie küssten sich, er wollte nicht allein sein. Er wollte da sein.
In seinem Hotelzimmer – er ganz der Gastgeber – wurde die Minibar geplündert, die seit dem Vorabend glücklicherweise schon wieder aufgefüllt worden war. Sie tranken Sekt. Maren saß auf seinem Schoß, auf dem hellhölzernen Stuhl am Tisch. Wieder küssten sie, ihr Mund war wie ihre Stimme, hell, weich, leise, trotzdem bestimmt, ernst auch, und in einer halben Umarmungkippten sie aufs Bett, das glücklicherweise ein Doppelbett war. Durch den Wollpullover berührte er ihre Brüste, seine Lippen lagen an ihrem Hals, dann schoben sich beide Hände unter den Pullover. Das alles war so lange her, dass es ihm komplett neu vorkam, dabei unwirklich in höchstem Maß, und er musste einen Schluck Wasser trinken. Er saß auf der Bettkante, Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, Hände am Kinn, als er auf dem Nachttisch, neben dem Schokoladenschüsselchen, sein Handy entdeckte, das noch immer nicht aufgeladen war. Maren räusperte sich, er spürte ihre leichte Hand auf seiner Schulter.
»Hast du zufällig ein Siemens-Netzteil?«, fragte er, ohne sie anzublicken. »Ich muss jemanden anrufen.« Er fühlte, wie sie den Kopf schüttelte, ihr Haar an seinem Nacken, und sie streichelte seinen Oberarm.
»Komm«, sagte sie. Dann legte er sich neben sie, und sie schauten fern. Schulter an Schulter lagen sie, ein paar Kissen im Rücken, und sahen ein erbärmliches Fernsehprogramm, aßen dabei Erdnüsse aus der Minibar und zwei kleine Tüten Chips und rauchten italienische Zigaretten aus Softpacks. Durch die halb geschlossene Jalousie drang Vespagehuste, das in Streifen geschnittene Licht der Leuchtreklamen. Fernsehen ist einfach super, dachte Tom. Irgendwann – vielleicht würde er ihr einmal alles erzählen – schienen sie eingenickt zu sein, Hand in Hand. Er glaubte, lange nicht so gut geschlafen zu haben.
AQUAPLANING
Alfredo Sandri, dachte Betty Morgenthal manchmal, ohne es ihm jemals zu sagen, hatte sie einst vor dem Ertrinken gerettet.
Er hatte sie aus dem Wasser gefischt. Er hatte sie ausgeschleudert und ausgewrungen wie ein nasses Handtuch. Er hatte sie in seinen warmen trockenen Schrank gelegt. Da lag sie seither. Warm und trocken.
An jenem Tag hatte die Helligkeit der Blitze nur das Dunkel offenbart. Über den Köpfen hatten Hunderte von Schirmen gestanden, die vom jähen Licht alle zwei Sekunden aus der Düsternis gerissenen wurden. Kalter, vom Meer herauffliegender Wind. Hektisches elektrisches Leuchten des Straßenverkehrs. Und darin stand sie, die Deutsche, ohne Schirm, an der Piazza Trieste e Trento vor der berühmten Bar Gambrinus von einem Bein aufs andere tretend, das rote Opernhaus San Carlo im Blick, und wartete auf einen Bus, der nicht kam. Und fragte sich wieder, wie bereits in Bologna, wie die Italiener beim ersten Regentropfen ihre Schirme aus dem Nichts holten, woher sie sie plötzlich nahmen, als ahnten sie den Regen, jene Seltenheit, die in diesem Land die Feindlichkeit einer unberechenbaren Natur zu verkörpern und in ihrer für den Menschen tiefschädlichen Bedeutung nur von Erdbeben und Vulkanausbrüchen übertroffen zu werden schien, weshalb nass zu werden ungefähr die drittschlimmste Naturkatastrophe war, die einem zustoßen konnte und die es unter allen Umständen zu vermeiden galt, diese akute Gefährdung der Zivilisation, d. h. der Frisur, daher die aus dem Nichts gezauberten Schirme beim ersten Tropfen, was sie bewunderte, denn sie hatte keinen. Wie immer.
Und wie immer stand sie zwischen den tropfenden Regenschirmen, den Fremdschirmen, die ihr in Hals und Gesicht stachen, und winkte, da sie das Buswarten inzwischen aufgegeben hatte, mit ausgestrecktem Arm einem Taxi, wie Unzählige andere auch. Wassergischt stäubte unter Autorreifen. Blitze zerrissen die Dunkelheit. Sie hörte ein nahes Fluchen auf Neapolitanisch. Sie wandte den Blick und bemerkte einen jungen Mann, der ebenfalls ohne Schirm war, aber italienisch offensichtlich, klein, kleiner als sie, mit dunklem gewelltem Haar und italienischer Gesichtsfarbe, zwar bleich, aber nicht weiß, sondern mediterran und zur Bräunung sozusagen
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