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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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er von der Seite sah, leuchtete bronzen kurz in der Menge auf.
    Was mit ihm sei, fragte Hedda. Ob er eine Heiligenerscheinung gehabt habe, immerhin sei man in Rom, und sie hatte gelacht, weil er offenbar ein blödes Gesicht machte. Aber er, der noch immer in die Richtung starrte, in der Betty mit ihrem Rollkoffer längst in der Menschenmenge aufgegangen war, schüttelte langsam den Kopf und sagte, er habe nur einen Augenblick lang geglaubt, jemanden wiederzuerkennen, aber es könne eigentlich nicht sein. Nein!
    Die gesamte erste Woche ihres Urlaubs hatte er darauf verwandt, diese Begegnung aus seinem Gedächtnis zu streichen. Und Hedda, ohne es zu wissen, hatte ihm sieben Jahre lang dabei geholfen.
    Jetzt stand er vor ihrem Briefkasten und dachte, dass es ein Leichtes wäre, Gewalt anzuwenden, den Verschlusshaken nach oben zu biegen mit einem Schlüssel, das Problem aber waren die Arbeiter. Pfeifend gingen sie auf der Treppe oder vor dem Eingang im nassen, schmutzigen Hof herum, räumten Gerüstholz auf Stapel, warfen Scharniere auf große Haufen, während das Flatterecho von den Wänden her antwortete, als vervielfältigter metallischer Laut, der hell in den Ohren riss. Er lief wieder in den Hof zurück. Sein Leben war eine in die Vergangenheit gebogene Kreislinie. Heddas Leben eine Gerade, dachte er. Er blieb in der Mitte des Vierecks stehen, zündete sich eine Zigarettean und beschloss zu warten, bis die Arbeiter Feierabend machten. Er war in den letzten Wochen ein großer Wartekünstler geworden.
    Ob er ihm sagen könne, wie spät es sei, bitte?, fragte er einen offenbar ausländischen Arbeiter mit blauer Wollmütze, der Gerüsteisen sortierte. Der Arbeiter aber arbeitete weiter, als hätte Holler nie etwas gesagt. Als er noch drei Eisen von einem kleineren auf einen größeren Stapel geschmissen hatte, richtete er sich langsam auf, drehte sich halb zu ihm und sagte, erstaunlicherweise ohne vorher auf die Uhr gesehen zu haben:
    »Viertel nach vier.«
    »Danke«, sagte Holler. Und ob er ihm auch sagen könne eventuell, welcher Tag sei.
    Wieder dauerte es drei Eisen, drei schrille Geräusche lang, bis sein Gesprächspartner antwortete: »Ist Freitag, Wochenende.«
    »Wochenende«, wiederholte Holler wie ein Papagei. »Und, welcher Monat?«, denn auf einmal befürchtete er, viele Wochen verpasst zu haben, weil sie vielleicht mit großen Umdrehungen an seinem Fenster vorbeigerollt waren, ohne ihn mitzunehmen.
    Der Mann richtete sich jetzt zu ganzer Größe auf. »Freitag, 27. Februar, Viertel nach vier. Soll ich auch noch das Jahr sagen?« Obgleich Holler insgeheim nichts dagegen gehabt hätte, quittierte er diese, wie er annahm, als Scherz gemeinte Frage mit einem höflichen Lächeln und ging über den Hof in Richtung Kastanienallee davon. Das erste Orientierungsfähnchen, sagte er sich, steckt in der großen Zeitfläche, die nun wieder eingeteilt werden kann in große und kleinere Kästchen, mit Zirkel und Lineal von Uhr und Kalender. Um fünf, dachte er, das istin einer Dreiviertelstunde, werden sie Feierabend machen, denn um fünf machen Arbeiter immer Feierabend, und das ist auf jeden Fall, bevor Hedda nach Hause kommen wird, zumal an einem Freitag, denn an einem Freitag finden oft Veranstaltungen statt in ihrem Kulturinstitut, Ausstellungseröffnungen, Lesungen, Konzerte, und dann, gerade freitags, wird es oft später bei ihr, erinnerte er sich, aber auch dienstags oder donnerstags oder mittwochs konnte es später werden, unter anderem deshalb hatten sie sich nicht oft gesehen in den letzten Monaten ihrer Beziehung, was vermutlich das Beste gewesen war, das ihnen hatte passieren können.
    Eine Dreiviertelstunde war nichts für Tom Holler, war absolut lächerlich nach den letzten Wochen, obwohl er andererseits gar kein Gefühl mehr dafür hatte, was das war , eine Dreiviertelstunde, wie lang oder wie kurz er sie sich vorstellen müsse. Er dachte sie in der Farbe Gelb. Ein gelbes, relativ kleines Kästchen auf der großen Zeitfläche. Anstatt ein gelbes Kästchen lang auf der Kastanienallee zu warten, hätte er Dinge erledigen können, alltägliche Notwendigkeiten, schließlich würde er in den nächsten Tagen verreisen, und wenn man verreist, erinnerte er sich, hat man immer viel zu tun. Aber was? Was war alltäglich, was notwendig? Es fiel ihm nicht ein. Er fühlte sich komplett neu in dieser Stadt, als wäre er hier zufällig von einem Reisebus vergessen worden, zurückgelassen ohne Gepäck in einem

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