Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
nicht gefragt.«
Sie sah zu Boden. »Du hast dich rasiert«, sagte sie und schien den Boden zu meinen, der sich aber sicher nicht rasiert hatte.
Holler fürchtete, sie würde, wenn es ihm nicht sofort gelänge, sie in ein interessantes Gespräch zu verstricken, sich umdrehen, eventuell im Gehen kurz die Hand heben, mit den Fingern in der Luft winken auf Höhe ihres Kopfes, den schwingenden Rücken ihm zugewandt, womit sie ihn früher, noch bevor sie ein Paar geworden waren, regelmäßig zu entzückter Verzweiflung gebracht hatte, ihn, der noch minutenlang nach ihren Filmstarabgängen in diejenige Richtung gestarrt hatte, in der sie verschwunden war. Jetzt sah er sie gegenüber stehen und gleichzeitig bereits davongehen, als gestrichelte Kontur, die ihren Körper verließ und zum Haus hinüberging. Schon hörte er die Schritte, aber sie entfernten sich nicht, sondern wurden lauter unter dem Bogen der Einfahrt. Der Gang eines Fremden.
Hedda wandte den Kopf zur Einfahrt, aus deren Dunkel in diesem Augenblick ein Mann hervortrat. Es war, als ob sich der grauschwarze Hof etwas durch ihn erhellte: Der beige Trenchcoat, das tiefblonde, wellige Haar, die braune Hornbrille machten einen freundlichen, hellen Eindruck. Zwei mit Papier eingewickelte Weinflaschen in beiden Händen, kam der Fremde zielstrebig auf sie zu, was Holler erstaunte, Hedda aber offenbar nicht.
»Ja«, sagte sie, indem sie ihrem Ton eine offizielle Färbung gab. Das hatte sie immer beherrscht, dieses chamäleonartige Wechseln der Tonfarben, dachte Holler fast bewundernd. »Darf ich vorstellen«, sagte sie. »Das ist Lutz Wegener, ein neuer Kollege von der Presseabteilung, Thomas Holler, mein Exmann.« Vor dem letzten Wort hatte sie kurz Luft geholt.
»Zukünftiger Exmann«, verbesserte Tom.
Lutz Wegener, der den Hof durch sein freundliches Erscheinen etwas erhellt hatte, sah nun seinerseits etwas verdüstert aus. Konzentriert schüttelte er Tom Holler die Hand. Er schien zu überlegen. Im Hof wurde augenblicklich viel überlegt, wodurch sich eine längere Gesprächspause hinzog, die, wie Holler annahm, für ihn reserviert war. Die Pause wäre lang genug gewesen, um eine oder gar mehrere Verabschiedungen darin unterzubringen, die Pause war ein langer gläserner Gang, durch den er diesen Hof hätte verlassen sollen, aber er blieb stehen und starrte durch die Leere zwischen Wegener und Hedda auf die Brandmauer. Unter der Reihe der schwarzen Kamine, auf denen bewegungslos die schwarzen Schatten einiger Krähen saßen, las er ein Graffito in weißen Großbuchstaben, das ihm bisher nicht aufgefallen war: ALLET GUTE KOMMT VON OBEN. Wer hat es dorthin geschrieben? Und wie ist er hinaufgekommen, dachte er.
Wegener, in seinem Augenwinkel, wandte den Kopf und schien interessiert die Gerüstholzstapel zu betrachten. Hedda, in seinem anderen Augenwinkel, stand wie gefroren, aber an der leichten Bewegung ihres Umrisses erkannte er, dass sie einatmete, den Mund öffnete, um, weil etwas geschehen musste, nun ihrerseits eine Verabschiedung zu äußern. Bevor jedoch das Wort fallen konnte, das endgültige Vorhangwort, hob er die Hand und deutete nach oben und sagte »dort«, woraufhin sich alle Köpfe zur weißen Schrift wandten. So gewann er Zeit. Als Hedda ihn mit leeren, nicht einmal fragenden Augen anblickte, sagte er: »Tja dann. Es wird nicht lange dauern.«
DER LUTZ-WEGENER-ABEND
In einer lockeren Reihe liefen sie schweigend über den Hof zum Wohnhaus hinüber. Wegener ging neben Holler, wodurch auch dieser überstrahlt wurde von der hellen Gesamterscheinung des neuen Kollegen, die ein wenig beeinträchtigt wurde höchstens durch den Umstand, dass er hinter seinen nicht gerade dünnen Brillengläsern etwas fischäugig blickte, dachte Holler, was aber auch als Anzeichen von Intelligenz durchgehen konnte bei Hedda. Und er gönnte es ihr. Er würde ihr niemals vorgehalten haben, hör zu, aber dein neuer Macker hat irgendwie Fischaugen, dazu ist er verdammt kurzsichtig, überleg es dir gut, ob du mit so einem wirklich Kinder herstellen willst, denn darum geht es dir ja doch letztendlich, um die Kinderfabrikation , etwas, das er selber immer kategorisch abgelehnt hatte, da er, wie er ihr von Anfang an erklärt hatte, niemanden, und am wenigsten ein ahnungsloses Kind aus seinem heimischen Nichts herauszerren und ungefragt als ein weiteres Spielfigürchen auf das Brettspiel dieser Welt setzen würde, aber andererseits, sagte er sich, gab es einfach Menschen, die
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