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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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fahren jedes Jahr zu Ostern«, sagte Hermanns, »ins Engadin zum Skifahren, das sind Farben dort, grandios. Das müssen Sie gesehen haben, das Licht im Engadin, wenn im Tal schon das erste Grün zum Vorschein kommt und oben noch eisiger Winter …« Er beendete den Satz nicht, sondern ließ ihn ins Leere laufen, indem er auf Kopfhöhe ein wenig mit den Fingern wedelte.
    Ob er das Engadin kenne?
    Nein, das Engadin, sagte Tom, kenne er nicht.
    Ein unglaubliches Licht, sagte Hermanns, herrsche dort, und dann der Schnee, und dabei handle es sich doch um nichts anderes, sagte er, als um eine Illusion, um ein Betrugsmanöver von Seiten der Natur. »Die Natur nämlich«, sagte Herr Dr. Hermanns, »sie betrügt uns fortwährend.«
    Tom neigte fragend den Kopf, als ob sich durch dessen Verlagerung die darin stattfindenden Arbeitsprozesse beschleunigen ließen.
    »Der Schnee erscheint uns blendend weiß«, erklärte Hermanns geduldig, »dabei ist er ja in Wirklichkeit durchsichtig, absolut farblos«, was ihn augenblicklich selber zu überraschenschien, worüber er sich offenbar freute, sich selber mit dem eigenen Wissen immer wieder neu zu überraschen.
    Tom hob die Augenbrauen und nickte, als Hermanns weitersprach und sagte, dass die Struktur des Schneekristalls übrigens eine sechsstrahlige sei und aus gefrorenem Wasser bestehe, aus bestimmten, so sagte er, Wasserstoffbrückenverbindungen, wie die Physiker, wir Physiker , sagte er wiederholt, sie nennen , und diese Wasserstoffbrückenverbindungen, »wie wir Physiker sie nennen«, seien natürlich eigentlich durchsichtig, uneigentlich aber, weil das Licht an den Grenzflächen zwischen den Eiskristallen und der sie umgebenden Luft reflektiert und gestreut werde, erschienen sie uns, erscheine der Schnee uns oder das, was wir als Schnee wahrnähmen, als blendend weiß. »Tja«, sagte er.
    Tom öffnete den Mund, damit endlich die Verabschiedung, die seit vielen Minuten darin wartete, hinauskönne, beging aber den Fehler, gleichzeitig scheinbar interessiert zu nicken, was Herrn Hermanns dazu animierte, jetzt, wo er schon dabei war, auch noch über das Phänomen des blauen Himmels zu berichten. »Auch der blaue Himmel, den wir so mögen«, sagte er, »ist in Wahrheit nichts anderes als ein besonders schöner Betrug der Natur. Eine beliebte Frage übrigens bei physikalischen Abschlussprüfungen …« Und wieder blickte er sentimental über Toms Kopf hinweg, den er ohnehin überragte. »Ach Gott, ist das lange her«, sagte er und zeichnete dann mit der Fußspitze etwas in den Schnee, das Tom nicht deuten konnte.
    Er nutzte die Pause, um etwas Witziges zu sagen, das aber von Hermanns überhört, wenigstens übergangen wurde: »Jeder betrügt also jeden«, sagte Tom. »Wir betrügen die Natur, sie betrügt uns«, sagte er, hatte aber sofort den Verdacht, dass Hermanns,der mit gespitztem Mund weiterhin die eigene Fußspitze betrachtete, ihn und seine Anwesenheit schon wieder vergessen hatte.
    Unvermittelt aber erinnerte er sich seiner und sagte: »Sie kommen doch mit rein auf einen Kaffee?« Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Meine Frau muss ja doch bald kommen.«
    Im Wohnzimmer war von Kaffee aber keine Rede mehr, sondern Hermanns schenkte Whiskey aus einer Karaffe in zwei schwere Gläser, in denen Eiswürfel klapperten. Zwei Hunde, Leo und Raffi, legten ihre Mäuler warm auf Toms Knie. Sie schielten zu ihm hinauf und peitschten mit den Schwänzen an die Seiten der Polstermöbel und hinterließen sicherlich auch Dreck.
    Gut, dass ihr nicht reden könnt, dachte Tom im Kreis, während er den Whiskey trank. Das Eis klackte ans Glas. Er trank schnell, und sein Gastgeber schenkte bereitwillig nach.
    »Musik?«, sagte er. Er sah seinen Gast eindringlich an. Er wirkte selbst wie ein Gast in diesem Sofasitzarrangement.
    »Gern«, sagte Tom.
    »Was mögen Sie denn?«
    »Ach egal«, sagte Tom, dachte aber: Ihre Frau .
    Seufzend erhob sich Hermanns und erinnerte an eine männliche Walküre, während er zur Stereoanlage hinüberging, aber es gibt keine männlichen Walküren, aber Hermanns ist eine, dachte Tom.
    Die Beatles tönten aus den Lautsprechertürmen, und Hermanns regelte mit einer schmalen Fernbedienung, die er hoch in die Luft hielt, die Lautstärke herab. Nachdem er sich wiedergesetzt hatte, erklärte er, dass er und seine Frau damals, seinerzeit , die Beatles live gehört hätten, noch ehe sie berühmt gewesen seien, was Tom beeindruckte. Aber schon hatte Hermanns das

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